Eine Glosse zum Schluss

Heute geht der Mayakalender zu Ende und manche fürchten den Weltuntergang. Josta van Bockxmeer überlegt, was sie mit ihrem letzten Tag anfangen soll.


Illustration: Cora-Mae Gregorschewski

Der Wecker klingelt. Ich drücke ihn aus und drehe mich wie jeden Tag vergnügt nochmal um. Ich träume, wie ich in ein unendlich tiefes, schwarzes Loch falle, in dem ein dunkles Echo erklingt. Wenn ich die Augen aufschlage, weiß ich es wieder: Heute geht die Welt unter. Ich gehe in die Küche, und eine merkwürdige Stille kommt mir entgegen. Ich fülle den Wasserkocher und schalte ihn ein. Das sanfte Brodeln des Wassers beruhigt mich und stellt mir eine wichtige Frage: Was mache ich an meinem letzten Tag?

Ich könnte ins Flugzeug steigen und mich an einen fernen Ort bringen lassen, an dem es sich zu sterben lohnt. Jamaika? Norwegen? Hauptsache fern der Silberlaube!

Aber was würde passieren, wenn die Welt untergeht, während ich noch im Flieger sitze? Dann könnte ich nicht mehr landen. Die Maschine würde im postapokalyptischen Nichts weiterfliegen, bis der Sprit ausgeht, und dann – nicht auf die Erde stürzen. Ein fantastisches Gefühl würde das sein, als einzige Überlebende im unendlich leeren Raum zu schweben und das zu sehen, was vorher unvorstellbar war. Wenn nicht nach kurzer Zeit unter den Passagieren des Flugzeugs ein schrecklicher Kampf um die letzten Nahrungsmittel und den knapp gewordenen Sauerstoff ausbrechen würde und die einmalige Aussicht mit einem grauenvollen Tod bezahlt werden müsste. Also doch nicht. Wenn die Erde untergeht, gehe ich lieber mit ihr.

Heute ist der letzte Tag, an dem ich einen Kindertraum erfüllen kann: Einen berühmten Roman schreiben. Na gut, für einen Roman reicht die Zeit nicht aus, und berühmt wird er wohl auch nicht mehr. Aber ein paar unvergessliche Zeilen müsste ich zu Papier kriegen – was auch immer das „unvergesslich“ heißt, wenn morgen alles vergessen ist. Ich mache mir einen Kaffee, hole ein Blatt und einen Bleistift und setze mich wieder an den gemütlichen Küchentisch, den ich auch zum letzten Mal genieße. Vielleicht werden die letzten Zeilen eine Glosse. Ein bisschen Galgenhumor zum Ende.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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