Seit Mitte Dezember sind in der FU-Turnhalle knapp 200 Flüchtlinge untergebraucht. Julian Jestadt sprach mit Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat über die Situation und wie es dazu kommen konnte.
FURIOS: In Berlin werden im Moment rund 24.000 Flüchtlinge in Sammelunterkünften, Wohnungen und Hostels untergebracht. Wieso ist die Lage im Dezember plötzlich so akut geworden, dass kurzfristig sieben Turnhallen, darunter auch eine der FU, zur Unterbringung beschlagnahmt wurden?
Georg Classen: Im November wurde vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) behauptet, Masern und Windpocken seien in allen Berliner Aufnahmeeinrichtungen ausgebrochen. Das traf tatsächlich nur auf zwei der sechs Einrichtungen zu. Trotzdem nahm man drei Wochen lang keine Flüchtlinge mehr auf. Da Berlin fünf Prozent aller Flüchtlinge bundesweit aufnehmen muss, war klar, dass es im Dezember fast doppelt so viele werden würden.
Zusätzlich muss das LaGeSo die Flüchtlinge, die über die fünf Prozent hinausgehen, in andere Bundesländer weiterleiten.
Normalerweise schon. In den letzten Wochen wurden beim Landesamt aber teilweise gar keine Asylverfahren mehr eingeleitet. Die Flüchtlinge erhielten keinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und auch keine Sozialleistungen. Sie erhielten lediglich eine Bescheinigung, dass heute keine Bearbeitung möglich gewesen sei, die Adresse einer Turnhalle und einen neuen Vorsprachetermin eine Woche später. So potenzierte sich das Ganze relativ schnell.
Ein weiteres Problem ist, dass das Asylverfahrensgesetz aus Gründen der Abschreckung und Kontrolle die Unterbringung einer Asylaufnahmeeinrichtung für die ersten drei Monate vorschreibt. Selbst wer hier in Berlin bei Angehörigen wohnen könnte, wird gezwungen, für drei Monate in einer Not- oder Sammelunterkunft zu leben, sein Asylverfahren einleiten zu können.
Vom Berliner Flüchtlingsrat wird die Unterbringung in den Turnhallen stark kritisiert. Was genau sind Ihre Kritikpunkte?
Die Flüchtlinge erhalten vom LaGeSO vielfach nicht die ihnen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehende Existenzsicherung: Sie bekommen kein Taschengeld zum persönlichen Bedarf, um beispielsweise Fahrscheine zu kaufen oder zu telefonieren. Sie bekommen keine Krankenscheine, auch keine Leistungen für Kleidung oder Hygienebedarf.
An der FU-Turnhalle ist problematisch, dass sie – anders als andere Sporthallen, die zur Zeit genutzt werden – nicht unterteilbar ist. Das heißt, es sind 200 Personen in einem einzigen Raum untergebracht. Anders als das LaGeSo behauptet, bleiben die Flüchtlinge nicht nur für jeweils drei Tage, sondern teilweise viel länger.
Das LaGeSo spricht bezüglich der Unterbringung in Turnhallen von einem letzten ‘Notnagel’. Die erste Priorität sei die ankommenden Menschen nicht der Obdachlosigkeit preiszugeben. Tut das LaGeSo nicht alles, was es kann?
Das LaGeSo und der Senat müssen mehr tun. Medizinische Versorgung, Geld für Fahrscheine und Telefonate sind genauso existentiell wie ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen. Das sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz vom Juli 2012 garantierte Rechtsansprüche. Hier wird gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen.
Inwieweit sehen Sie die Freie Universität in der Verantwortung, etwas für die Flüchtlinge zu tun?
In Hellersdorf gab es viel Wirbel um eine neue Flüchtlingsunterkunft. Dort engagieren sich Leitung, Dozierende und Studierende der benachbarten Alice-Salomon-Hochschule für Sozialwesen in vorbildlicher Weise und stellen beispielsweise auch ihr Rechenzentrum mit Internet-Arbeitsplätzen zur Verfügung.
Knackige Fragen, echt knackig.