Burkhard Meyer-Sickendiek erforscht Rythmen in Gedichten mithilfe einer Software. Im Interview erklärt er, wieso Computer dem Menschen beim Dichten trotzdem nicht überlegen sind. Von Felix Lorber
Herr Meyer-Sickendiek, Ihr Projekt „Rhythmicalizer“ sorgt derzeit für großes Aufsehen in Literaturwissenschaft und Informatik. Was hat es damit auf sich?
Burkhard Meyer-Sickendiek: Uns geht es bei dem Projekt um drei Dinge: Erstens wollen wir eine Verslehre nachvollziehen, die aus den USA kommt: Die free verse prosody. Diese Theorie versucht, den Rhythmus moderner und postmoderner Lyrik zu beschreiben. Die germanistische Literaturwissenschaft geht immer noch davon aus, dass diese Gedichte kein beschreibbares Metrum haben. Wir untersuchen dafür einen großen Korpus an Gedichten, die von den Autoren und Autorinnen selbst eingesprochen wurden. Um rhythmische Muster in den Gedichten bestimmen zu können, benutzen wir Techniken der Informatik: Wir bringen also einer Software bei, diese Muster zu erkennen.
Sie wollen auch die Einflüsse von Hip-Hop oder Slam-Poetry auf die moderne Prosodie untersuchen. Welche gibt es da?
Wir vermuten in der Slam-Poetry oder im Hip-Hop bestimmte Muster, die wir ähnlich analysieren können wie klassische metrische Muster. Das wichtigste Muster ist hier die Synkope. Diese Technik hat ihre Wurzeln unter anderem in der Jazz-Musik und ist bereits in frühen Gedichten aus den 1920er Jahren erkennbar. Nur ist sie dort natürlich längst nicht so schnell gesprochen. In Slam-Poetry und Rap wird diese Grundfigur beschleunigt, aber als Prinzip beibehalten. Daher wollen wir in unserem Projekt mehrere hundert Gedichte untersuchen und schauen, wo wir Synkopen finden. Unsere Software soll dann auch in der Lage sein, Gemeinsamkeiten in unterschiedlichen Sprachen zu finden.
Ihr Computer studiert mit der Software praktisch Literatur, später soll er eigenständig handeln können. Hand aufs Herz – werden in der Zukunft Computer die besseren Gedichte verfassen?
Es geht zunächst einmal nur darum, mit Hilfe des Computers Gedichte schneller aufnehmen und analysieren zu können. Was er dann erfasst und wie er das einordnet, muss aber immer noch einmal von Menschen überprüft werden. Von daher würde ich mir da noch keine futuristischen Utopien ausmalen. Sollen schließlich neue Gedichte geschaffen werden, darf man nicht die Bedeutung dessen unterschätzen, was man traditionellerweise als „lyrisches Ich“ bezeichnet. Dieses setzt sich aus geistiger und sinnlicher Wahrnehmung, aber auch aus Erinnerung oder Vorahnung zusammen. Das kann der Apparat nicht bieten – Menschen aber schon.