Viel Gejodel um nichts?

Obwohl die Studierenden-App Jodel bereits Universitätsstädte im In- und Ausland im Sturm erobert hat, wird an Berliner Hochschulen scheinbar nur selten gejodelt. Passt die App nicht in das Berliner Studierendenleben? Von Adrian Sanchez

Wenn Studierende das Smartphone zur Hand nehmen, liegt es nicht mehr nur an Whatsapp, Facebook & Co. Wer während der gähnend langweiligen Vorlesung lieber aufmerksam die Bildschirme der Kommiliton*innen studiert, entdeckt dort immer wieder Apps, die rein zum Zeitvertreib gedacht scheinen. Ob in München, Freiburg oder Bonn: In vielen Universitätsstädten ist die App Jodel ganz vorne mit dabei. Bald will das Unternehmen nun sogar über den großen Teich in die USA expandieren. Doch an Berliner Unis scheint der Hype auch nach zwei Jahren fleißigen Jodelns noch nicht richtig angekommen zu sein.

In der App können Nutzer*innen anonyme Posts – sogenannte Jodel – verfassen, die im Umkreis von zehn Kilometern lesbar sind. Andere haben dann die Möglichkeit, die Kurznachrichten oder Bilder zu kommentieren und zu bewerten. Besonders gelungene, geistreiche oder kreative Mitteilungen werden von der Community mit Upvotes belohnt. Für jede Interaktion werden „Karma-Punkte“ verteilt. Je beliebter ein Jodel und je aktiver ein*e Nutzer*in insgesamt auf der Plattform ist, desto mehr Karma erhält diese*r dafür. Bekommt ein Beitrag jedoch mehr als fünf Downvotes, wird dieser automatisch gelöscht – so kann jede*r mitbestimmen, worüber in der Studierenden-App gesprochen wird.

Das Besondere an Jodel im Vergleich zu anderen sozialen Plattformen: Alle Nutzer*innen sind anonym. Freund*innen oder Follower*innen gibt es nicht. Für die angezeigten Beiträge zählt nur, wer in der Nähe ist. Und genau das macht für viele den Reiz aus. Man kommuniziert mit einer unbekannten Crowd, die sich ungefähr am selben Ort aufhält. Anders als auf Facebook oder Instagram gibt es bei Jodel keine Profile – so geht es ausschließlich um den Inhalt und nicht um die Beliebtheit der Verfasser*innen, die Zahl der Follower*innen oder die Anzahl der bereits verfassten Beiträge. Mit Humor, schrägen Anekdoten oder interessanten Gedanken kann man mit jedem Jodel aufs Neue punkten. Die Gründer der App wollen so ein Zeichen gegen den übertriebenen Personenkult in klassischen sozialen Netzwerken setzen und Selbstdarsteller*innen den Nährboden nehmen. Dies gelingt jedoch nur bedingt, da auch diese Plattform die Möglichkeit bietet, Selfies hochzuladen und so nach Upvotes zu fischen. Auf diese Weise gelang es schon einigen Berliner*innen einen eigenen Hashtag oder sogar Channel zu gründen, in dem sie regelmäßig über den persönlichen Lifestyle jodeln. Die Präsentation des eigenen Lebens fällt bei Jodel also noch leichter – und das ohne lästige Anmeldung.

Wer in der Jodel-Community jedoch allzu viel Gesellschaftskritik und tiefgründige Diskussionen erwartet, wird enttäuscht. Denn das Teilen der Gedanken und Erlebnisse aus dem Studierendenleben bringt meist wenig Substanzielles, dafür aber viel Belangloses und vor allem Unterhaltsames hervor. Das Spiel mit Klischees ist besonders beliebt, um möglichst viel Zustimmung und damit viele Karma-Punkte einzuheimsen.Beliebte Themen neben klassischem Campus-Tratsch: Das Party-, Liebes- oder WG-Leben. Damit unterscheidet sich Jodel wenig von ähnlichen Angeboten mit seichtem Studierendenhumor.

Oft finden sich allerdings auch Witze an der Grenze zum Sexismus. Überhaupt hält man es auf Jodel mit Political Correctness nicht sonderlich streng. Dennoch gelingt es den Betreibern trotz der Anonymität außergewöhnlich gut, Hasskommentare, Beleidigungen oder pornografische Inhalte aus dem Newsfeed fernzuhalten. Dass es sich bei Jodel um eine eher wohlwollende Community handelt, verdeutlicht auch der Hashtag #jhj – „Jodler helfen Jodlern”- unter dem Nutzer*innen nach Empfehlungen für eine gute Bar oder eine spannende Serie fragen können. Die Anonymität führt außerdem, anders als bei anderen sozialen Plattformen, zu einer ungewöhnlichen Vertrautheit und Empathie zwischen den Nutzer*innen. So trauen sich viele von ihnen teilweise intime Details aus ihrem Leben preiszugeben, die sie ihren Kommilitoninnen im realen Leben natürlich niemals anvertrauen würden.

Das Prinzip der Anonymität kommt gut an: Kurz nach der Gründung des Berliner Start-ups verzeichnete Jodel im Jahr 2015 bereits eine Million Nutzer*innen. Auch wenn das Unternehmen keine aktuellen Zahlen zur Nutzung bekannt gibt, dürfte die Zahl der Jodelnden weiter angestiegen sein. Mittlerweile ist die App weltweit verfügbar. Außerhalb des deutschsprachigen Raums kommen die aktivsten Nutzer*Innen aus den skandinavischen Ländern und Saudi-Arabien. In Deutschland ist Jodel besonders in Universitätsstädten wie Göttingen, Passau und Mannheim verbreitet. Auch Frankfurt, Freiburg und Darmstadt gelten als Jodel-Hochburgen. Ohne genaue Zahlen nennen zu wollen, versichert das Unternehmen, dass auch Berlin zu den aktivsten deutschen Jodel-Städten zählt.

Doch hört man sich auf dem FU-Campus und unter anderen Studierenden um, so wissen nur die wenigsten von der App. Irgendwie scheint Jodel insgesamt in Berlin noch nicht so richtig zu zünden. Aber woran könnte das liegen? Wird die anonyme App dem Selbstdarstellungsdrang der Hauptstadt-Studierenden nicht gerecht? Die Betreiber haben eine andere Erklärung: „Möglicherweise hat man aufgrund der großen Fläche Berlins und der großen Verteilung der Universitäten und Hochschulen den Eindruck, dass insgesamt weniger passiert.“ Und tatsächlich könnte das zum Teil erklären, dass Jodel in kleineren studentisch geprägten Städten besser funktioniert. Denn die App ist auf eine relativ homogene und lokal konzentrierte Nutzer*innengruppe angewiesen: Der Witz über den Kellner in der Kneipe ist nur dann interessant, wenn alle Nutzer*innen die Kneipe kennen. In Berlin-Kreuzberg interessiert sich aber niemand dafür, was Menschen in Schöneberg über den neuen Falafel-Mann jodeln.

Jodel vermittelt den beruhigenden Eindruck, dass die Menschen um einen herum ziemlich ähnlich ticken, die gleichen Probleme und den gleichen Humor teilen. Und auf dem weitläufigen Campus in der eher unpersönlichen Großstadt kann die App so tatsächlich das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer lokalen Community stärken. Somit ist Jodel vielleicht sogar mehr als eine reine Zeitvertreib-App und hätte in Berlin das Potenzial, Studierenden einen sozialen Anker in der lokalen Community zu setzen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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