Stift statt Skalpell

Die Ausstellung Sick! präsentiert Comics über das Leben mit Krankheiten, in direkter Nachbarschaft konservierter Organe. Eine aufwühlende Mischung, finden Johanna Hoock und Carla Spangenberg.

Sick Foto

Starke Kontraste: Organpräpate neben bunten Comics. Foto: Johanna Hoock

Der künstliche Darmausgang von Safdar Ahmed lacht fies und droht höhnisch, dass er jederzeit unangenehme Geräusche von sich geben könnte, in den unpassendsten Situationen. In den darauffolgenden Panels seines Comics „My Battle with Crohn’s Disease“ schildert der australische Künstler seinen Alltag mit Morbus Crohn. Die angewidert dreinblickenden Mitmenschen und die Verzweiflung des Protagonisten machen betroffen. Lässt man dann den Blick schweifen, entdeckt man in der Vitrine daneben deformierte Kinderschädel.

Ein kurzer Einblick in die Interventionsausstellung „Sick! Kranksein im Comic“ – Sie zeigt Comics internationaler Künstler*innen, die darin ihre Erfahrungen mit medizinischen Diagnosen, Leiden, Pflege, Therapie und Genesung verarbeiten. Als Teil des Forschungsprojekts PathoGraphics der FU Berlin wurden die ausgestellten Werke im Rahmen eines internationalen Comic-Wettbewerbs ausgewählt und sind nun im Präparatesaal des Medizinhistorischen Museums der Charité zu sehen.

Bunte Comics und tote Organe

Der Comic als Kunstform und Medium ist allgemein eher als heiter und lustig bekannt. Bunte Bilder und prall gefüllte Sprechblasen begleiten die Held*innen bis zum Happy End. Doch in „Sick!“ zeigen sie sich von einer anderen Seite: Mithilfe des gattungstypischen Mittels der Abstraktion rückt hier, im neuen Genre der „Graphic Medicine“, die Emotionalität der Protagonist*innen in den Fokus.

Den farbigen, großformatigen Comics der Künstler*innen, die durch ihr Leben mit Alzheimer, Burnout, Depressionen oder Unfruchtbarkeit führen, stehen die menschlichen Organe der anonymisierten wissenschaftlichen Präparatesammlung gegenüber. Diese repräsentieren auf ganz eigentümliche Weise den Tod. Isoliert und aus dem Kontext gerissen wirken sie abstrakt und unecht. Wann sieht man schon mal eine kranke Niere im Glas, eingelegt in gelblich grüne Flüssigkeit? Der Kontrast zwischen konserviertem, totem Fleisch und lebhaft dargestellten Schicksalen ist drastisch. Während die Präparate teils Irritation, teils Ekel hervorrufen, erzeugen die Comics Mitgefühl und Betroffenheit.

Perspektivwechsel in der Medizin

Die akademische Leiterin von PathoGraphics, Prof. Dr. Irmela Krüger, beschreibt die Ausstellung als ästhetisches und gesellschaftspolitisches Projekt mit doppeltem Perspektivwechsel: Zum einen würden künstlerische Darstellungsformen von Krankheiten gegenüber der klinischen, medizinischen Sichtweise aufgewertet. Zum anderen sei es das Ziel, Patient*innen und Angehörige in den Mittelpunkt zu rücken. Zu oft führten Diagnose und Krankheit zur Marginalisierung innerhalb der Gesellschaft. Betroffene würden nicht gesehen und nicht gehört. Nun aber ergreifen sie selbst das Wort und den Zeichenstift.

Der Effekt bleibt nicht aus: Für die Betroffenen ist die künstlerische Aufarbeitung vielleicht der erste Schritt zur Genesung. Die Betrachter*innen bewegt der Perspektivwechsel und regt zum Nachdenken an. Lässt man sich darauf ein, kann die Ausstellung enorm wirken und dazu verleiten, das Museum mit einem gestärkten Bewusstsein für seine Mitmenschen zu verlassen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 04. März 2018 im Medizinhistorischen Museum der Charité zu sehen. Infos zu Öffnungszeiten gibt es hier.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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