„Ich habe mich nicht verabschiedet“

Manchmal braucht es nur einen Blick, um eine ganze Geschichte zu erfahren. Annika Reiß hat auf der Portraitausstellung „Ich habe mich nicht verabschiedet” geflüchteten Frauen in die Augen geschaut.

v.l.n.r. Enana, Raja, Doha; Fotos: Heike Steinweg

„In meiner Heimat war ich Schriftstellerin, nun versuche ich, auch in Deutschland als Autorin Fuß zu fassen”, Sharmila lässt ihren Blick durch den Ausstellungsraum des Museums Europäischer Kulturen (MEK) schweifen. An den vier Wänden hängen Portraits von vertriebenen und geflüchteten Frauen, die nun in Berlin im Exil leben. Sharmila ist eine von ihnen.

Eine Portraitausstellung zum Thema Geflüchtete ist auf den ersten Blick vielleicht kein besonders originelles Konzept. Doch der Fotografin Heike Steinweg gelingt es trotzdem, mit der Ausstellung „Ich habe mich nicht verabschiedet” die Besucher*innen zu erstaunen.

Die Möglichkeit der Selbstdarstellung

Die Porträts sind lebensgroß, kein Glas trennt die Betrachtenden vom Bild. Man befindet sich auf gleicher Höhe mit den Protagonistinnen, sodass einem nichts Anderes übrig bleibt, als ihnen direkt in die Augen zu sehen. „Ich habe so viel in meinem Leben überlebt, dass ich jetzt das Gefühl habe, alles schaffen zu können.” Nur jeweils ein Zitat unter jedem Bild untermalt die geschaffene Szenerie. Dieses stammt von der 22-jährigen Hiba. Mehr Informationen zu den einzelnen Frauen erhält man erstmal nicht. Weder zur Herkunft oder Vergangenheit, noch zu Alter und Beruf. Doch mehr braucht es nicht, um den Bildern Persönlichkeit zu geben. Keines ist wie das Andere.

Heike Steinweg selbst versuchte, so wenig Einfluss wie möglich darauf zu nehmen, wie die Frauen dargestellt werden. Im Fokus stand für sie, den Frauen eine Möglichkeit zu geben, sich selbst darzustellen: „Was sie tragen, wie sie geschminkt sind, ob sie lächeln oder nicht, hat jede Frau selbst entschieden“, erklärt die Fotografin.

Die Idee zu diesem Projekt entstand 2015 als Steinweg die Bekanntschaft mit einer Geflüchteten aus Syrien machte. Inspiriert von ihrer Positivität und Tatendrang kam der Gedanke auf, geflüchteten Frauen eine Bühne zu geben, um ihre Geschichte zu erzählen. Dabei sollen nicht nur Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit beleuchtet werden, sondern in erster Linie ihr jetziges Leben in Berlin und ihre Zukunftspläne.

Eine Galerie der Powerfrauen

Die Ausstellung ist ohne Zweifel eine Galerie sehr besonderer Frauen. Sie erzählt eine ganze Bandbreite an beachtenswerten Geschichten. Für den zweiten Blick auf die Portraitierten wurde ein Buch aus individuellen Texten gefertigt. Auch bei den Texten wurde seitens der Schaffenden kein Rahmen festgelegt. So sind einige äußerst klar strukturiert, andere wirken wie ein Gedankenfluss. Sie thematisieren die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens im Exil, wie zum Beispiel Enana. Sie schreibt, dass sie sich zuvor nicht hätte vorstellen können „sich einfach auf offener Straße zu küssen.” Was für uns normal ist, ist für sie ein Gefühl von Freiheit.

„Frauen im Exil” ist mehr als eine Ausstellung von Portraits. Der Fotografin gelingt es, in den Portraits einen Spiegel für die unterschiedlichsten Geschichten zu erschaffen, in denen jede Menge Herzblut steckt. Wer einen Dialog auf Augenhöhe nicht scheut, sollte dem MEK also einen Besuch abstatten.

Die Ausstellung „Ich habe mich nicht verabschiedet – Frauen im Exil” , läuft noch bis zum 15.07.2018. und kostet für Studierende 4€

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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