Willkommen in den Weiten Mexikos. Im neuen Spin-Off von „Narcos” werden fesselnde Charaktere gegen Dokumentationsstil ausgetauscht. Johanna Daniel hat sich das näher angeschaut.
Das Thema Pablo Escobar ist ausgeschöpft. Wer sich für ihn und den Drogenkrieg in Kolumbien interessiert, findet zahlreiche Dokumentationen und Serien dazu auf Netflix und Co. So ist es schon sehr erfrischend gewesen, dass die dritte Staffel von „Narcos“ nach dem Tod von Escobar das Cali-Kartell näher beleuchtet hat. Das letzte Woche auf Netflix erschienene Spin-Off „Narcos: Mexiko“ verlagert den Fokus auf die Auseinandersetzungen zwischen den USA und dem seinerzeit mächtigsten mexikanischen Guadalajara-Kartell Anfang der Achtzigerjahre.
Für die ersten Folgen muss Geduld mitgebracht werden. Das Spin-Off bringt neue Charaktere mit sich, an die sich erst gewöhnt werden muss. Man vermisst die reißerischen, heroischen Persönlichkeiten mit Wiedererkennungswert der ersten drei Staffeln. Dieses mal scheint alles einfacherer gestrickt. Der Cannabis-Bauer Félix Gallardo, Protagonist der neuen Staffel, erscheint im Gegensatz zu den riesigen brutalen kolumbianischen Kartellen anfänglich weniger bedrohlich. Während Enrique „Kiki“, Agent für die US-amerikanische Drogenvollzugsbehörde (“DEA”), sich freiwillig nach Guadalajara versetzen lässt, um seinen Idealen nach die Kartelle zu bekämpfen, träumt Félix von einem Zusammenschluss der Organisationen Mexikos zu einem Drogenkartell.
Unterhaltungsserie wird zu Doku
Félix Gallardos Idee eines eng vernetzten Drogenimperiums wird lange und intensiv behandelt. Die Serie nimmt die Zuschauer*innen wie gewohnt mit News-Ausschnitten und Bildern der dargestellten Zeit an die Hand. Der Aufbau des Guadalajara-Kartells wird dem Publikum auf eine fast dokumentarische Weise verständlich vermittelt. Gallardos Rolle wird dabei nüchtern dargestellt und für Zuschauer*innen lange im Hintergrund gehalten. Auch DEA-Agent Kiki scheint zunächst im Gegensatz zu Peña und Murphy aus den ersten drei Staffeln durch eine fehlende Hintergrundgeschichte profillos. Die Charaktere polarisieren nicht und ziehen weniger in den Bann, wodurch sie der Serie weniger Persönlichkeit einhauchen als beim Vorgänger. Allerdings liegt der Schwerpunkt durch den Augenmerk auf das Guadalajara-Kartells mehr auf den politischen Strukturen Mexikos, die von Korruption dominiert sind.
„Narcos” Charme bleibt erhalten
Die stilistische Abgrenzung zum Vorgänger „Narcos“ bleibt aus. Neben dem Einbezug von Nachrichten der damaligen Zeit bleiben auch weiterhin Naturaufnahmen aus der Vogelperspektive, direkte Gewaltdarstellung und szenische Untermalung durch traditionelle landestypische Mariachi-Musik erhalten. Eine Unterscheidung zum Rest der Serie ist nur inhaltlich zu erkennen. Dem Publikum bleibt also glücklicherweise ein Stück vom Charme des Vorläufers.
„Narcos: Mexiko“ fehlt die Energie, die Zuschauer*innen an den Bildschirm fesselt. Trotzdem überzeugt der Ableger von „Narcos“ mit seiner hohen Dichte an Informationen über die Strukturen des mexikanischen Drogenkrieges der Achtzigerjahre. Die dokumentarische Erzählweise bringt frischen Wind in die Vielzahl von Serien über den Handel mit Koks und Marihuana. Wer das Gefühl hat, mittlerweile alles über Pablo Escobar zu wissen und sich nicht nur für die großen Fadenzieher der Drogenkriege, sondern auch für ihre Struktur interessiert, sollte sich „Narcos: Mexiko“ ansehen.