Der studentische Magen ist einiges gewohnt – Tiefkühlpizzen, Tütensuppen und literweise Alkohol treiben ihr Unwesen in Berliner WG-Küchen. Doch können gepeinigte Mägen in der Servicewüste des grünen Dahlems Erholung finden? Anselm Denfeld hat sich auf die Suche nach Antworten in den Imbissen und Mensen des Campus gemacht.
Der erste Schritt aus dem U-Bahnhof ist der schwerste. Noch könnte man umdrehen und sich eine Bifi am Automaten ziehen, wieder einsteigen und auf der Suche nach billigem Fast Food in Richtung Innenstadt fahren. Doch nicht in der Vorlesungszeit, denn die bedeutet Anwesenheitspflicht. Dank ihr müssen tausende Studierende Tag um Tag nach Dahlem kommen und dort das Spiel gegen den Hunger antreten.
Die Reise zur Überprüfung der Lage der Portion beginnt im universitären wie kulinarischen Herz des Campus: der Rost- und Silberlaube mit ihrer Hauptmensa. Es ist kurz vor acht und Herr Jarocki, der Leiter der Mensa II gibt noch ein paar letzte Anweisungen. Er ist seit 1983 beim Studierendenwerk, hat sich hochgearbeitet und trägt inzwischen Verantwortung für 91 Mitarbeiter*innen. Die sind schon seit Stunden auf den Beinen. Antipasti, Auflauf, belegte Brötchen – das meiste ist um diese Uhrzeit schon fertig. Nebenbei erzählt Jarocki vom Anspruch gesund, frisch und regional zu kochen und trotzdem für alle etwas Aufregendes anzubieten. „Zur letzten WM waren auch brasilianische Gerichte dabei“.
Eine Mitarbeiterin mischt in einem Bottich in Badewannengröße Salat, aus einem Hahn schießt dampfende Suppe in einen riesigen Topf und eine der täglich verfügbaren veganen Optionen ist gerade geboren: Couscous mit Gemüse und ordentlich Tofu liegt auf etliche Bleche verteilt im Ofen und duftet. Über 5000 Esser*innen werden heute erwartet. Bei diesen riesigen Mengen gibt es keine Extrawürste – massentauglich muss es sein. Eine bestimmte kulinarische Richtung gäbe es nicht, auf den Tisch kommt, was finanziell umsetzbar ist. Trotzdem lassen einen die Angestellten des Studierendenwerks einen Moment vergessen, dass man an einer Massenuniversität studiert. Denn wer hier grüßt, muss kein Stammgast sein, um fürsorglich bedient zu werden. Bis es soweit ist und die Theken öffnen verstreichen aber noch ein paar Stunden.
Zeit für einen Frühstückskaffee. Den gibt es nur ein paar Schritte weiter im Kauderwelsch, das sich von den vielen anderen studentisch betriebenen Cafés abhebt. Mit fair gehandelten Bio-Produkten wird hier für Gerechtigkeit im internationalen Handel gekämpft. Die heiße Brühe geht zum Glück leichter runter, als die idealistischen Ziele. Und dank fabelhaftem veganen Kuchen und Couscous scheint die Schlange zwischen den unzähligen Mitbringseln aus Tibet und Lateinamerika nie abzureißen. Allein, dass auf allen Schildern das eher fade Gözleme, ein gefülltes Fladenbrot, beworben wird, wenn es doch so viele Köstlichkeiten gibt, ist verwunderlich. Aber die Disco-Remixe beliebiger Reggae-Songs aus den Boxen reißen einen aus den marktwirtschaftlichen Gedanken. Hastig gilt es, das speckige Sofa und die bunt getünchten Räume zu verlassen.
Zum Mittagssnack lädt das italienische Restaurant Galileo auf unscheinbaren Kreidetafeln. Wer neu an der FU ist, mag sich fragen: Welche*r Gastronom*in kann denn hoffen, einer hochqualitativen, subventionierten Mensa Konkurrenz zu machen? Aber sobald man die unscheinbare Treppe gegenüber der Mensa gefunden hat und die lichtdurchfluteten, dekadent westdeutsch anmutenden Räume betritt, ist klar, dass man sich hier außer Konkurrenz befindet. Man ist umgeben von älteren Paaren, die wohl aus der Nachbarschaft stammen, Forschungsgesellschaften und jeder Menge Graubärten. „You have to understand: I was the first linguist in Brazil. They just didn’t have that before!“, erzählt ein Wissenschaftler und erntet bei seinen Zuhörer*innen hornbrilliges Nicken. Und auch im weiteren Gespräch wird so selbstzufrieden geschnackt, wie man es nur mit einer lebenslänglichen Professur in der Sakkotasche kann. Während die akademische Elite ihre italienischen Menüs verköstigt, zerteilen zwei Studentinnen mechanisch ihre Pizza, die es hier schon für vier Euro gibt. Den Espresso feiern aber alle.
Solange man an der Uni keinen Elternbesuch auszuführen hat, bleibt es mit dem Galileo und seinem Schwertfisch auf der Karte wohl bei einer einmaligen Bekanntschaft. Schnell noch die mit 2,50 Euro teuerste Mate auf dem Campus geschnappt, dann beginnt mit vom Koffein wummernden Herzen die Wanderung quer durch die Rost- und Silberlaube.
Unterwegs passiert man entspannte Studierende. Ob das am Essen liegt? Ein Student schwärmt euphorisch vom kulinarischen Angebot der Mensa – wirkt dabei aber auch sehr high. Dienstags und donnerstags gebe es Fisch, sein persönliches Highlight. „Die anderen Tage sind aber auch okay, heute hatte ich ein arabisches Hähnchen!“ Auch seine Kommilitonin Sophie hat es dank der Mensa geschafft, acht Semester ohne Pausenbrot auszukommen.
Auch wenn der Tag schon von Koffein überschwemmt wurde, muss es noch ein bisschen mehr vom Herzschrittmacher sein. Denn am Ende einer versteckten Treppe erstreckt sich das legendäre Café Pi mit seiner Dachterrasse, auf der man belegte Brötchen und Kuchen zu studentischen Preisen schnabulieren kann – auch vegan. Die typische Mahlzeit mit Blick auf die schaukelnden Baumwipfel Dahlems ist aber Käffchen mit Lungenbrötchen, die Glimmstengel hat hier fast jeder im Mundwinkel. So erhaben das Gefühl, im Wind auf Bierbänken die Süchte zu befriedigen auch ist, mit der untergehenden Sonne verspürt der studentische Magen langsam wieder den Drang zur hochprozentigen Selbstzerstörung.
Die wartet in Dahlem, seitdem das partyfreundliche Rote Café geschlossen ist, aber nur auf wahre Ortskenner*innen. Versteckt hinter dem Ethnologischen Museum feiert die gehobene Klasse ihre Exzesse im edlen Faculty Club, der Bar des Campushotels. Wer in der Uni auf der bezahlten Seite des Vorlesungssaals steht, kann sich hier mit Cocktails wie dem „Dahlem Delight“ oder dem anrüchig klingenden „Professor’s Passion“ beduseln. Anonyme Loungemusik und blau schimmerndes Licht auf leeren Sesseln lassen eine Stimmung wie in „Lost in Translation“ aufkommen und trösten nicht über den Preis von 20 Euro für zwei viel zu starke Cocktails hinweg. Auf dem flauschigen Teppich steht unzählige Male „Es sind die Begegnungen mit den Menschen, die das Leben lebenswert machen.“ Was diesen Abend wirklich lebenswert macht, ist das wohlige Gefühl im Magen – das Gefühl, dass die Lage der Portion ganz okay ist. Zumindest solange man nicht vorhat, sich zu betrinken.