Zeig mir deinen Urin und ich sag dir, was für ein Mensch du bist – ist das inoffizielle Motto der vier Schriftsteller*innen im Atlas Urinzytologie und Sedimentanalyse. Was unsere nichtmedizinische Autorin Lena Rückerl alles lernte, erklärt sie in unserer Rubrik Bücherbingo.
Eine Urinprobe beim Arzt abgeben – das haben wir vermutlich alle schon gemacht. Was da untersucht wird, werden die meisten von uns nicht wissen. Wer sich dafür interessiert, findet in dem Atlas Urinzytologie und Sedimentanalyse von Oliver Hakenberg, Josefine Neuendorf, Stephan Roth und Peter Rathert vielleicht Antworten, aber nur wenn man das Buch versteht.
Denn dieses richtet sich an Urolog*innen und Patholog*innen. Als Studentin der Sozialwissenschaften gehöre ich da eher nicht zur Zielgruppe. Medizinisches Fachwissen ist Voraussetzung, um dieses 222-seitige Schriftwerk wirklich zu verstehen. Spannend war das Buch trotzdem, zumindest die Teile, die ich begriffen habe.
Ok Google, was ist Urinzytologie?
Urinzytologie und Sedimentanalyse sind Methoden, um Urin zu untersuchen. Verschiedenste Krankheiten, wie Tumorerkrankungen, können so erkannt werden. Die Methoden gehören zur Urologie. Diese beschäftigt sich mit allen harnbildenden und harnableitenden Organen, also mit Niere, Harnblase, Harnleiter und Harnröhre.
Die Urinzytologie ist eine mikroskopische Untersuchung des Urins auf zelluläre Bestandteile. Bei der Sedimentanalyse werden hingegen die festen Urinbestandteile mikroskopisch untersucht. Da in den Krebsstatistiken immer öfter urotheliale Tumore auftauchen, also zum Beispiel Blasenkrebs, wird Urinzytologie immer wichtiger für frühzeitige Diagnosen. Dass die Methode relativ einfach und kostengünstig ist, macht sie sehr attraktiv.
Menschen, die in der Textil-, Leder- und Gummi-Industrie arbeiten, haben ein erhöhtes Risiko für urotheliale Tumore. Für sie sind deshalb regelmäßige zytologische Untersuchungen Vorschrift. Aber auch Personen mit erhöhtem Konsum von Zigaretten und anderen Nikotinprodukten sollten regelmäßig ihren Urin untersuchen lassen.
Praktische Anleitungen zur Materialgewinnung
Dieses Buch dient zur Ausbildung neuer Patholog*innen und Urolog*innen. Dies ist vor allem deshalb notwendig, da die Disziplin sehr uneinheitlich ist. Der Atlas bietet neben ausführlichen theoretischen Erklärungen auch praktische Anleitungen zur Untersuchung von Urin. Zur Gewinnung von Urin gilt die Spontanmiktion als einfachste Methode (”Einmal Becher voll machen!”) Manchmal ist es aber sinnvoll, Urin durch Katheter oder eine sogenannte „Harnröhrenstumpfspülung“ zu gewinnen.
„In den meisten Fällen ist der physiologische Vorgang der Spontanmiktion ausreichend zur Materialgewinnung.“
Die Methoden zur Fixierung und Konservierung des Urins werden ausführlich geschildert. Ebenso erfährt der Leser oder die Leserin, wie der Urin im nächsten Schritt gefärbt werden muss, damit die einzelnen Bestandteile gut zu erkennen sind und wie diese später archiviert werden können.
Moderne Kunst mit einem Hauch von Ammoniak
In dem Fachbuch sind zudem über viele Seiten hinweg Fotos von verschiedensten urinzytologischen Befunden und Urinbestandteilen zu sehen. Um Fehldiagnosen zu minimieren sind auch Verunreinigungen der Proben, zum Beispiel durch Haare, Staub oder Luftblasen, aufgeführt. Für mich sahen die bunten Fotos aber mehr nach moderner Kunst aus. Erkennen konnte ich nur wenig – da waren auch die hinweisenden Pfeile keine Hilfe.
Eine Leseempfehlung?
Ob man dieses Buch lesen sollte? Keine Ahnung, denn inwieweit das Buch für Mediziner*innen interessant ist, kann ich als Laiin nicht beurteilen. In jedem Fall ist es sehr praxisorientiert und detailliert. Von selbst hätte ich dieses Buch bestimmt nie zur Hand genommen, kann es aber nun allen Nichtmediziner*innen empfehlen, die sich selbst beweisen wollen, dass sie eigentlich überhaupt nichts wissen. Auch wenn man nicht alles versteht, lernt man viel Neues, wie zum Beispiel, dass Miktion ein anderes Wort für Urinieren ist. Außerdem ist das Buch für jede*n lesenswert, der*die seinen*ihren Google-Such-Algorithmus verwirren möchte. Onlinesuchen von Carcinom bis Nativpräparat sind nämlich vorprogrammiert.