Ist das alles, was du brauchst?

Jung, schwul, Berlin. Die ARD versucht mit All you need ein junges und diverses Publikum abzuholen und Liebe zwischen Männern zu zeigen. Ob das funktioniert, hat sich Lucie Schrage angesehen.  

Vince (Benito Bause) im Club. Bildmontage / Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen, Illustration: Joshua Leibig

,,Warum verschickst du Bilder von deinem Schwanz?” Vince will gerade ein Dickpic an einen anderen Mann senden, als seine beste Freundin und sein Mitbewohner in sein Zimmer platzen und ihn dabei erschwischen. Die neue Dramedy-Serie All you need der ARD nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht (queere) Themen an, die man so noch nicht im ÖR gesehen hat. Dabei konzentriert sich die Handlung auf Vince, seinen Mitbewohner Levo, dessen spät geouteten Freund Tom und Vinces Clubbekanntschaft Robbie. Die vier führen ein intensives Leben in Berlin, als junge schwule Männer, voller Höhen und Tiefen. Ein roter Faden ist dabei die Suche nach Liebe und Geborgenheit.

Im folgenden Clubset startet Levo eine Diskussion über Gay Culture in der Popmusik. Während im Hintergrund Drag Queens von buntem Neonlicht bestrahlt werden, stellt er fest, dass Britney Spears …Baby One More Time lediglich ein Bericht über ihre Einsamkeit sei. Mit Hilfe von Popmusik von Dua Lipa und Taylor Swift vermittelt die Serie im Laufe der Staffel weitere Botschaften wie ,,haters gonna hate” in Shake it off.

Vince verliert sich indes im Blickkontakt mit dem ihm noch unbekannten Robbie, den er kurz darauf anspricht und dann auf der Toilette Sex mit ihm hat. Die Serie bedient hier bereits das Klischee, dass schwule Männer ’schnell zur Sache kommen’. Jedoch wird in späteren Szenen mit einem Vorurteil aufgeräumt, als gezeigt wird, dass Sex zwischen Männern mehr als nur Analverkehr bedeutet. Der Zeitsprung zu zwei Wochen später und der Beziehung von Vince und Robbie legt in der ersten Folge ein schnelles Erzähltempo vor. 

Ein gegensätzliches Bild zeichnet Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Gutsche mit Levo, der zu seinem neuen Freund Tom zieht, obwohl sich in dessen Haus noch Bilder von seiner Exfrau an den Wänden befinden. Zudem wünscht er sich von seinen Eltern mehr Interesse für sein Privatleben und seine neue Beziehung, schließlich wird seine Schwester ständig nach der Familienplanung befragt. 

Ein klassisches Drama in fünf Akten

Auf Levos Einweihungsparty wird das zwiegespaltene Verhältnis der Figuren zu Klischees weiter thematisiert. Während sich der Gastgeber keine stereotypischen homosexuellen Verhaltensweisen wünscht, will Vince nichts verbergen. Schließlich sei er stolz darauf, schwul zu sein. Das Spannungsfeld des Umgangs mit der eigenen Sexualität spielt in der gesamten Serie eine zentrale Rolle. Sie ist zum einen innerhalb der Charaktere verankert, wie im selbstbewussten Levo der im starken Kontrast zu Tom steht, dem man anmerkt, dass er ,,noch nicht lange schwul ist”. Aber die Figuren sprechen das Thema auch direkt an, zum Beispiel wenn Vince Robbie darauf hinweist, dass er vielleicht nur Sport schaut und kein Rosa trägt, weil er in einer heteronormativen Gesellschaft nicht auffallen will.

In ihrer Selbstidentifizierung werden die vier immer wieder mit homophoben Aussagen und Verhaltensweisen konfrontiert. So wünscht sich zum Beispiel die Nachbarin von Tom und Levo Vorhänge vor dem Schlafzimmer, um sie nicht mehr im Licht zu sehen. Aber auch enge Bezugspersonen zeigen sich intolerant wie Levos Vater, der fragt, wer die Frau und wer der Mann in der Beziehung sei. Dabei fallen den vier Männern schlagfertige Antworten, wie: ,,Fragen sie sich beim Essen mit Stäbchen auch, was die Gabel und was das Messer ist?” nicht in jeder Situation leicht. Am meisten Diskriminierung erfährt Vince, wie er selbst feststellt: ,,Ich bin nicht nur schwul. Ich bin auch schwarz”. Die Thematisierung von Rassismus steht jedoch im Hintergrund und wird Zuschauer*innen nur durch eine Szene deutlich vor Augen geführt. Weitere Spannungsfelder werden nicht ausgereizt, wie bei Robbie der Sozialstunden ableisten muss, deren Grund man aber nicht erfährt. Zusätzlich findet sich eine Stereotypisierung von Gewalt als Bewältigung von Gefühlen bei Männern, als er seinen fremdgehenden Ex-Freund schlägt. Dass dieser mit einer blutenden Nase im Krankenhaus landet, erscheint übertrieben.

Der durchaus überraschende Plot entwickelt sich langsam und die Spannung wird nicht aufgelöst, sodass man auf eine weitere Staffel hoffen muss. Die Serie ist nicht frei von kitschigen Momenten, Klischees und stereotypischen Darstellungen. Aber trotzdem liegt ihre Stärken darin, wichtige Themen wie Diskriminierung und Vorurteile aufzugreifen und schwule Männer in den Mittelpunkt zu stellen. All you need stellt somit eine gute Ergänzung zur immer länger werdenden Watchlist dar. Denn die Liebe steckt im Detail. Es sind die kleinen Momente, die neckischen Auflösungen von Mansplaining, das neugierige Notizen machen über den neuen Partner, die alles tragen, die alles einzigartig machen. 


All you need ist seit dem 7. Mai und noch bis November 2021 in der ARD-Mediathek verfügbar. Am 16. und 17. Mai strahlte der ARD-Spartensender one-tv die erste Staffel aus. 

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