FURIOS VERREIST: Warschau – kühl oder cool?

Warschau ist moderner und kantiger als es die Bilderbuch-Altstadt vermuten lässt. Autorin Luca Klander nimmt uns mit an den Ort, an dem Gegenwart und Vergangenheit einer aufstrebenden Metropole aufeinandertreffen.

Auffallend sticht der braune Kulturpalast zwischen den futuristischen Wolkenkratzern hervor. Bild: Luca Klander

In der Ferienserie „FURIOS verreist“ berichten Autor*innen von ihren Erlebnissen unterwegs.

Von Westen gen Zentrum gehe ich den Hochhäusern entgegen. Der erste Eindruck, den ich von Warschau bekomme, verheißt eine junge, urbane, ungeschönte Stadt. Die monumentalen, stalinistischen Bauten wirken kühl und faszinierend fremd, wie aus einer anderen Zeit. Die Fassaden und Straßen sind in ihrer Weite und Großzügigkeit prächtig, fast einschüchternd. Leuchtende Schriftzüge und Plakate an den Oberkanten der Gebäude erinnern mich an die Karl-Marx-Allee in Ostberlin. Sie sind massiv, funktional, kalt – doch vielleicht zieht auch gerade der Kontrast zwischen den hohen Gebäuden in einem undefinierbaren Grauton und dem bunten, pulsierenden Stadtleben in ihrem Schatten die Menschen diesen Bezirk jenseits der Altstadt . 

Ein Palast als Sinnbild

So auch der Pałac Kultury i Nauki, dessen markante Silhouette sich klar vom Hochhaus-Horizont abhebt. Einst erstrahlte der kolossale Bau in einem hellen Weiß, heute ist der Palast der Kulturen und Wissenschaften braun, dunkelbraun. Nicht nur optisch hat das einstmalige Geschenk Stalins an Strahlkraft auf die Stadtbewohner*innen verloren: Im Baustil des stalinistischen Klassizismus steht der kolossale Komplex sinnbildlich für das ambivalente Verhältnis des Landes zum früheren Einfluss der Sowjetunion.

Er ist ein Fremdkörper in diesem sonst so modernen Stadtteil Warschaus. Ein Relikt aus grauem Beton inmitten von verglasten Hochhäusern, der sich in die Skyline einfügt und doch unübersehbar hervorsticht. Er wird geliebt und gehasst. Und doch waren die Stimmen für den Erhalt immer lauter als die Forderungen nach einem Abriss, hat sich hier doch eine Vielzahl an prägenden Ereignissen zugetragen: In den hohen Räumen des Palastes trafen sich polnische Eliten, Anhänger*innen der Staatspartei und des Warschauer Pakts. Selbst die Rolling Stones hatten dort einst ihren ersten Auftritt hinter dem Eisernen Vorhang. 

Die jüngste Altstadt Europas

War die Symbolik des sowjetischen Totalitarismus damals die Hauptfunktion des Kulturpalastes, befinden sich dort nun Theater und Museen, Kinos, Bürogebäude und Einkaufszentren. Wer sich ihm nähert, bleibt zwangsläufig einen Moment stehen, um die unerwartet moderne und dynamische Atmosphäre des Stadtzentrums auf sich wirken zu lassen. Gelbrote Straßenbahnen umkreisen das weitläufige Areal rund um den Palast. Hier, in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs trifft man auf ein authentisches Abbild der Warschauer Bevölkerung:  Geschäftsleute, Mütter mit dem Familieneinkauf, posierende Hipster vor der urbanen Kulisse, wenig Touristen, kaum Obdachlose. Sie alle wirken auffallend jung und strahlen doch in Teilen eine gewisse Härte aus, die für mich fremdartig und schwer greifbar ist.

Mit Warschau werde ich trotzdem immer diesen polarisierenden Ort verbinden, denn er ist authentisch. Künstlich hingegen die rekonstruierte Altstadt: Alles ist makellos und zu malerisch, um aus dem 13. Jahrhundert zu stammen. Am Ende sind es die strahlenden Farben der Fassaden, die das junge Alter der Gebäude verraten. Wie bei einem gefälschten Renaissance-Gemälde von Beltracchi lassen sich die Spuren der Zeit dort nie perfekt imitieren. 

Nostalgie und Moderne – am Kulturpalast schließen sie sich nicht gegenseitig aus, sondern existieren gleichzeitig. Mein Blick fällt auf einen neuen, sich im Bau befindlichen Wolkenkratzer. Er ist – oder wird – futuristisch.

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