Vom Tod der Tonträger

CD-Sammlungen waren einst essenzieller Teil jedes Jugendzimmers und Stolz ganzer Generationen. Heute interessieren sie keinen mehr, den eigenen Musikgeschmack kennt dafür die ganze Welt. Ein Kommentar von Lena Rückerl.

Foto: Kira Welker

Es ist zum Verrücktwerden. Da hat man jahrelang fleißig gesammelt. Man hat jahrelang kuratiert. Man hat jahrelang Geld ausgegeben. Und nun soll all diese Müh und Not, der vergossene Schweiß, umsonst gewesen sein. Ein Opfer des technologischen Wandels? Die kleinen glänzenden Platten verstauben im Keller, werden kistenweise auf Flohmärkten angeboten, verschwinden einfach in der Mülltonne. Es war unvermeidbar: CDs interessieren keine*n mehr. Sie waren die Statussymbole des Jugendzimmers um die Jahrtausendwende, unverzichtbare Einrichtungsgegenstände, Insignien der Coolness. Fein säuberlich aufgereiht standen sie in extra dafür konzipierten Ständern, gleich neben der glänzenden Stereoanlage. Letztere ein Geschenk der Eltern zum letzten Weihnachtsfest, selbstverständlich multi disc. Sie waren Zeugnis des lange erwarteten Älterwerdens und probates Mittel der Rebellion gegen die Eltern. Das Haus bebte.

Im Jugendzimmer der Generation Z sind nun andere Dinge wichtiger, obwohl eine farblich gut sortierte Disc-Sammlung bestimmt einen famosen Hintergrund für die Inszenierung auf Instagram bieten würde. Doch Social Media hat einen anderen Weg gefunden, den eigenen Musikgeschmack ästhetisch in die Welt hinaus zu schreien: Der alljährliche Spotify-Rückblick gleicht einem Schaulaufen, bei dem der in der eigenen peer group eigentlich peinliche Schlagersong ironisch lächelnd abgetan und mit dem stundenlangen Hören klassischer Musik während des Lernens geprahlt wird. Bunte Bilder als Aushängeschild des eigenen, genialen, individuellen Musikgeschmacks. Die Statistik ist knallhart, gut vergleichbar und im Gegensatz zum Jugendzimmer, welches nur die eigenen Freund*innen sahen, für eine Hundertschaft von Follower*innen einsehbar.

Aber das ist nur temporär und bei Weitem nicht so beeindruckend wie eine Wand von Plastikhüllen, hinterlegt mit bunt bedrucktem Papier. Die heute von überall streambaren Datenmengen sind kein Einrichtungsgegenstand mehr, sie sind Teil der Inszenierung des eigenen Selbst. Das Statussymbol des Jugendzimmers wurde in die Welt hinaustragen, die Zimmer dominierenden Stereoanlagen durch Bluetooth-Boxen mit dickem Bass und Endlos-Akku ersetzt. Genauso (er)tragbar wie die eigenen Playlisten.

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