Eine grandiose neue Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt erkundet das Verhältnis zwischen Feminismus und Film in globaler Perspektive. Julia Schmit war dort.
Ein Sound-Teppich aus elektronischen Klängen. Eine junge Frau schneidet mit einer riesigen Schere Teile aus einer langen Filmrolle. Im Halbdunkel des Raumes bearbeitet ihr Schatten die Negative, die Aufnahmen werden immer wieder von kurzen Bildern unterbrochen: die Filmemacherin mit ihrer Kamera auf der Straße, ein Schauspieler, der Schminke aufträgt, Kinder bei der Ballettprobe.
Diese Arbeit der südkoreanischen Künstlerin Han Ok-hee aus dem Jahr 1977 ist zugleich einer von über 80 Filmen, die momentan im Haus der Kulturen der Welt zu sehen sind. Die neue Ausstellung mit dem langen Namen No Master Territories. Feminist Worldmaking and the Moving Image erkundet die Verhältnisse zwischen bewegten Bildern und feministischen Vorstellungswelten anhand von Werken aus den 1970er- bis 1990er-Jahren. Eine Zeit der weltweiten Freiheitsbewegungen, in der die Utopie von einer hierarchiefreien Gesellschaft erträumt wurde, die sich in dem Titel der Ausstellung spiegelt.
Filmische Erkundungen der Schnittstellen von Gender und Macht
Film bedeutet hier nicht Hollywood-Blockbuster. Die Filme in der Ausstellung sind allesamt nicht fiktional, das heißt größtenteils dokumentarisch bis experimentell oder irgendwo als Hybride dazwischen. Besucher*innen wandeln durch einen großen Raum und können über Kopfhörer den Sound der Filme hören. Nimmt man die Kopfhörer für einen Augenblick ab, lässt die Stille einen Moment der Reflexion zu. Der ist auch hin und wieder nötig, denn die Filme fordern heraus.
Zum Beispiel der Stop-Motion-Film Prowling by Night einer kanadischen Künstlerin, die sich Gwendolyn nennt. Er wurde im Jahr 1990 inmitten der HIV/Aids-Epidemie unter Mitarbeit von 21 Sexarbeiter*innen auf 16-mm-Film gedreht und erzählt vom Arbeitsalltag in der Prostitution inklusive gewaltvollen Begegnungen mit der Polizei sowie Aufklärungsarbeit über safen Sex. Hier, wie auch in den anderen präsentierten Arbeiten, werden Frauen die Subjekte ihrer eigenen Repräsentation.
Diversität der Positionen
Der Fokus liegt auf Werken von Künstler*innen aus aller Welt. Ausgestellt sind unter anderem Filme der afrokubanischen Regisseurin Sara Gómez, des Kollektivs Grupo Chaski aus Peru und der Videokünstlerin Idemitsu Mako aus Japan. Viele der Frauen, deren Arbeiten hier zu sehen sind, machen nicht ausschließlich Filme. Sie sind Anthropologinnen, Journalistinnen oder Lehrerinnen und ihre Werke wurden meist außerhalb des Kino-Kontextes gezeigt, zum Beispiel zu aktivistischen Zwecken. Viele wurden lange nicht gesichtet und sind frisch restauriert und digitalisiert.
Weg von dem Genie-Kult, mit dem männliche Regisseure oft umlegt werden, nähert sich die Ausstellung einer feministischen Erinnerungskultur, die ihre Aufmerksamkeit auf soziale Kontexte der Produktion und Rezeption von Filmen legt und das emanzipatorische Potenzial von Bewegtbildern aufzeigt. Mit diesen Schwerpunkten gelingt es den Kuratorinnen der Ausstellung, Erika Balsom und Hila Peleg, eine so anregende wie bewegende Rückschau zu erschaffen, in denen feministische Positionen aus aller Welt miteinander in Dialog treten. In den Worten von Erika Balsom: „What’s wrong with utopias?“ Definitiv sehenswert!
Die Ausstellung „No Master Territories. Feminist Worldmaking and the Moving Image“ ist im Haus der Kulturen der Welt noch bis zum 28. August 2022 zu sehen. Öffnungszeiten täglich außer dienstags: 12 bis 20 Uhr. Für Studierende kostet ein Ticket 5 Euro inklusive Zweitbesuch. Montags ist der Eintritt frei.