Anlässlich der kürzlich erschienen Untersuchung Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland fand vom 1. bis zum 3. Juni 2023 eine internationale Konferenz des Forschungsprojekts Umgekehrte Sammlungsgeschichte statt. Julie Rechenberg war vor Ort und berichtet von der Podiumsdiskussion am 1. Juni.
„Mein Traum ist, dass der Albtraum zu Ende geht”, lautet eine Wortmeldung aus dem Publikum. Obwohl dieser Satz erst zum Schluss der Veranstaltung geäußert wird, schien der Gedanke die ganze Zeit unausgesprochen in der Luft zu hängen.
Über 40.000 kamerunische Kulturgüter werden derzeit in deutschen öffentlichen Museen aufbewahrt. Zu diesem Schluss kommt das gemeinsame Forschungsprojekt der Technischen Universität Berlin und der Université de Dschang. Damit hat Deutschland mit Abstand den größten kamerunischen Bestand weltweit. Dieses Ergebnis überrascht, da Deutschland kürzer über Kamerun herrschte (1884–1916/19) als die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien (1920–1960).
„Das ist sehr viel. Deutschland ist voll. Kamerun ist leer”, sagt Maryse N. Njikam, die bei dieser Veranstaltung als Vertreterin der Botschaft der Republik Kamerun auftritt. Léontine Meijer-van Mensch, die Direktorin des Grassi Museums für Völkerkunde in Leipzig, spricht von einer „Leere, die diese Fülle hier in Deutschland in Kamerun dalässt.“ Weniger ergriffen als seine Vorrednerinnen äußert sich Prinz Kum’a Ndumbe III, Gründer der AfricAvenir Stiftung: „Wenn ich diese Zahl höre, bin ich nicht wirklich erstaunt.“ Kamerunische Quellen gäbe es dazu schon länger: „Wir haben bereits seit 1980 daran gearbeitet.“ Auch der Direktor für die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum, Lars C. Koch, zeigt sich wenig überrascht.
In Diskussionen über den Umgang mit geraubten Kulturgütern wird oft von “Objekten” gesprochen. Der Atlas der Abwesenheit erläutert aber, dass dieser Begriff alles andere als zutreffend ist, da er die wahre Funktion der Güter verschleiert. Bevor sie nämlich ihrem eigentlichen Kontext gewaltsam entrissen und zu leblosen Artefakten hinter Vitrinen wurden, waren sie das soziale und individuelle Leben begleitende Subjekte. Die Objektifizierung ist folglich eine extreme Herabwürdigung und auch ein Gewaltakt, der einen sensibleren Umgang mit Sprache fordert.
Zukunft der Museen
Museen spielten zu Kolonialzeiten eine maßgebliche Rolle bei Raub und Zerstörung der Kulturgüter. Das vorgeschobene Motiv: ihre vermeintliche Rettung. In den Museen wurden sie dann mit unzutreffenden Sinnzuschreibungen und Narrativen versehen, die bis heute die Museumslandschaft prägen. Der Widerstand der Bevölkerung bleibt dabei in der Regel unerwähnt. Wie kann das geändert werden?
Meijer-van Mensch denkt, dass es Kollaboration, ständige Absprachen und Personen mit unterschiedlichen biographischen Hintergründen in Führungspositionen bräuchte. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Koch. Er strebt ein kollaboratives Museum an: „Wir können das nicht alleine.“ Diese Art von Museum solle insbesondere in afrikanischen Museen neue Perspektiven und Narrative ermöglichen und sich auch in Europa ausweiten.
„Wer sind denn eure Partner?“, ruft Kum’a Ndumbe aus. Er kritisiert, dass während der Kolonialzeit entstandene Museen die Partner sind, und nicht die ausgeraubten Orte und Personen. „Da frage ich euch Europäer*innen: Habt ihr die Kulturgüter aus Museen genommen?“ Klatschen und Lachen im Publikum. Die Seele des Volkes lebe nicht in modernen Museen, sondern in alten Königshäusern, fährt er fort und unterstellt seinem Vorredner die Absicht, ein europäisches Ebenbild in Kamerun errichten zu wollen. Er zieht den Vergleich zu jüdischen Familien, die ihr Eigentum nach dem Zweiten Weltkrieg zurückerstattet bekamen. Wieso kann für Afrika nicht das gleiche gelten? Wieso werden Museen erwartet?
Restitution – das Ziel aller Parteien?
Das Ziel, zu dem gesteuert werde, sei Restitution, so Njikam. Vorher müsse aber noch viel getan werden. Die kamerunische Bevölkerung wolle wissen, wo ihr Eigentum sei und wie das alles passieren konnte. Außerdem wolle man sich rekonstituieren: „Wir müssen selbst unsere Geschichte schreiben.“
Was ist mit unserem Volk passiert?
Was ist mit unserem Gedächtnis passiert?
Das Gedächtnis ist ausgelöscht worden.
sagt Kum’a Ndumbe. Afrikaner*innen würden nichts über sich selbst lernen. Die meisten Schulbücher in Kamerun kämen beispielsweise aus Frankreich. Deswegen seien selbst Akademiker*innen in Bezug auf sich selbst „Analphabeten“: „Ce sont des diplômés illettrés sur eux-mêmes.“ Eine Restitution des Wissens wird also ebenfalls gefordert.
Spannend ist, dass sich die beiden anwesenden Museumsdirektor*innen dazu bekennen, mithilfe der Kollaboration in Richtung einer Restitution arbeiten zu wollen. Das könnte auf ein Umdenken in der deutschen Museumslandschaft hindeuten. Zukünftig muss sich noch in vielen Punkten geeinigt werden und es wird klar, dass die kamerunische Bevölkerung mit ihren Wünschen und Kritikpunkten um einiges mehr mit einbezogen werden will und muss.