Wohnungssuche in Berlin: Von Nudist*innen-WGs bis zum Kloster

Von ungewöhnlichen WGs und kuriosen Vermieteranfragen – meine Odyssee auf der Suche nach einem Zuhause in Berlin. Ein Erfahrungsbericht von Juliania Bumazhnova.

Jeder, der nach Berlin zieht, kennt’s: Die verzweifelte Suche nach einer Unterkunft. Foto: Pixabay

Ich war 18 und sollte demnächst nach Berlin umziehen, um an der FU zu studieren. Regelmäßig sandte ich Anfragen an Menschen, die WG-Zimmer anboten. Diese wurden entweder abgelehnt oder es stellte sich heraus, dass es sich um Betrüger handelte. Schließlich hatte ich Glück und fand eine WG in der Nähe der Uni, die vielversprechend aussah. „Wir nehmen dich gerne auf”, schrieb eines der WG-Mitglieder. „Aber bevor du einziehst, gibt es etwas, das du wissen musst.”

Ich horchte auf. „Was denn?”

„Wir sind eine Clothes-off-WG. Ist das ein Problem für dich?”

Ich stutzte. „Das bedeutet, ihr seid alle nackt?”

„Genau, zu Hause laufen wir unbedeckt herum. Du müsstest also auch auf Textilien verzichten können.”

Ich überlegte einen Moment. Dies wäre bestimmt eine WG, wo ich viele interessante Erfahrungen machen könnte. Schweren Herzens entschied ich mich trotzdem dagegen.

Nächste Station: Eine Anfrage von einer älteren Dame namens Augusta, die ein Zimmer in ihrer Villa am Stadtrand vermieten wollte. Ich schickte ihr eine ausführliche Bewerbung mit Foto. Ich erhielt bereits nach zwei Stunden eine Antwort.

„Schätzchen, ich würde dich gerne aufnehmen, aber es gibt eine Sache, die du wissen solltest”, sagte Augusta beim Telefonat.

„Okay”, wartete ich ab.

„Du würdest mit mir und meinem 28-jährigen Sohn in der Wohnung leben. Ist das ein Problem für dich?”

Ich zögerte: „Nun, ich glaube nicht.”

„Außerdem erwarte ich von dir, dass du ab und zu mit ihm sprichst, okay?”

„Was meinen Sie mit sprechen?”

„Na ja, ihn über seinen Tag ausfragen und ab und zu gemeinsame Aktivitäten unternehmen…”

„Was für Aktivitäten?”, fragte ich misstrauisch.

„Das kannst du dir dann selbst überlegen. Zum Beispiel malen!”

Ich stutzte. „Malen???“

„Warte, ich schicke dir ein Foto von ihm”, sagte sie.

Ich bekam ein Foto von einem dünnen, blassen Mann, der etwas deprimiert in die Kamera starrte.

„Hübsch, oder?”, fragte Augusta zufrieden.

„Hmm”, sagte ich gezwungen.

„Er hat es bisher nicht so mit den Damen, und seine Erfahrungen mit Frauen sind begrenzt, aber ich bin sicher, du könntest ihn von dir überzeugen.”

Diese Frau war gerade dabei, mich mit ihrem Sohn zu verkuppeln!

„Ich glaube, ich passe nicht ganz zu Ihnen. Ich wollte eigentlich nur in eine ganz normale WG.”

Ich verabschiedete mich von der enttäuschten Augusta und legte auf. 

Ich gab nicht auf und sandte weiter Bewerbungen an jedes Angebot, das ich finden konnte. Ein gewisser Paul antwortete mir und war bereit, ein weiteres Mitglied in seine WG aufzunehmen. Endlich schien ich einen geeigneten Wohnort gefunden zu haben!

„Bevor du einziehst, musst du etwas wissen”, schrieb Paul.

„Oh nein”, dachte ich, „nicht schon wieder eine Enthüllung.” 

„Und was wäre das?” fragte ich.

„Nun ja, ich habe unterwürfige Passionen… Ist das ein Problem für dich?”

Ich war perplex. „Was wäre denn so eine unterwürfige Passion in der Praxis?”

„An sich ist das eine ganz normale WG und ich bin ein ganz normaler WG-Sklave. Es gibt hier verschiedene Formen von Sklaverei: Arbeits- und Geldsklaven. Der Sklave ist da, um zu dienen, nach Belieben benutzt und gedemütigt zu werden (auch sexuell) und alles nach deinen Launen auszuhalten. Würde es dich eher reizen mich zu demütigen oder mich für dich arbeiten zu lassen? Oder beides?“

„Hmm, verstehe“, antwortete ich, während ich innerlich die Existenz meines WG-Karmas in Frage stellte.

„Also, ich muss gestehen, dass die Haltung eines WG-Sklaven nicht zu meinen Zukunftsvorstellungen gehört hat.“ 

Ich verabschiedete mich und fragte mich, ob es in Berlin wirklich keine einzige WG gab, in der sexuelle Praktiken keine Voraussetzung für das Wohnen waren. Kurze Zeit später schickte mir meine Mutter eine Anzeige: „Studentenkloster in Berlin” stand darauf. Ich lachte auf. 

Doch die Lage war mittlerweile ernst. In zwei Wochen sollte die Uni beginnen, und ich hatte immer noch keinen festen Wohnsitz. Ich schrieb das Kloster an und erhielt bald darauf eine positive Antwort. Ich erwartete fast schon die Frage: „Ist das ein Problem für dich?”.

Es war definitiv ein Problem für mich. Ich wette, ich würde noch bedauern, dass ich nicht in die Nudist*innen-WG eingestiegen war. Und so hatte ich für mein erstes Semester in Berlin einen Platz in einem Kloster bekommen, wo ich unbefristet wohnen konnte. 

Ich hatte einige Male bereut, ins Kloster gezogen zu sein, andere Male schien es der perfekte Ort für mich zu sein. Meine Wohnungssuche hat mir Berlin als Stadt der Extreme gezeichnet, die ich vielleicht gerade deswegen lieben gelernt habe.

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