Dem Muttermythos den Spiegel vorhalten

Muttersein gilt seit jeher als die größte Erfüllung, die eine weiblich sozialisierte Person erfahren kann. Doch nicht jede Frau hat einen Kinderwunsch, was häufig auf Unverständnis und Kritik stößt. Allison spricht mit Julie Rechenberg über ihre Entscheidung.

Disclaimer: In diesem Text wird der Einheitlichkeit halber der Begriff »Frau« verwendet, der hier primär als soziale Rolle zu begreifen ist. Besonders beim Thema Sterilisation muss allerdings bedacht werden, dass nicht alle Personen mit Uterus sich als Frauen identifizieren.

Illustration: Julie Rechenberg.

Allison* sitzt gemütlich im Espresso House und nippt an ihrem Getränk. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee liegt in der Luft und im Hintergrund dröhnt etwas zu laute Musik, unter die sich das Geklirr von Tassen und Tellern mischt. Allison ist 20 Jahre alt und studiert an der FU. Seit der Geburt ihres kleinen Bruders vor neun Jahren weiß sie, wie viel Verantwortung ein Kind bedeutet und dass sie keine eigenen Kinder will: »Das ist mir zu viel Verantwortung, und die Energie brauche ich für mich selber«, erzählt sie. Der Wunsch nach Freizeit und Energie für einen selbst wird oft als einer der Hauptgründe für die Entscheidung gegen Kinder genannt. Kritiker*innen unterstellen häufig Egoismus. Allison wehrt dies nicht ab: »Es ist immerhin mein Leben; mein Uterus. Wenn jemand der Meinung ist, dass ich egoistisch bin, dann ist das halt so. Lieber bin ich egoistisch und alleine als egoistisch mit Kind.« Damit bezieht sie sich auf ein Argument der Childfree-Community, nachdem viele Eltern aus egoistischen Motiven heraus Kinder zeugen würden: Sei es der Wunsch nach einem Mini-Me, weniger Einsamkeit oder Pflege im Alter durch die Kinder. Der Begriff childfree, zu deutsch ›kinderfrei‹, ist eine Selbstbezeichnung, um sich vom Mangel implizierenden Begriff ›kinderlos‹ abzugrenzen.

Druck von außen

Aussagen wie ›Du bist noch so jung, deine Meinung wird sich bestimmt noch ändern‹ oder ›Wenn du erst mal den*die Richtige*n gefunden hast‹ hört Allison zur Genüge. Denn auch wenn sich immer mehr Frauen öffentlich zu ihrem kinderfreien Lebensstil bekennen, ist ihre Entscheidung noch lange nicht normalisiert und trifft oft auf Ablehnung und Unverständnis. »Egal, was in der Zukunft liegt: Das, was jetzt gerade meine Meinung ist, sollte akzeptiert werden«, sagt Allison.

Das Gespräch mit Personen, die älter als Mitte 20 sind, erweise sich oft als besonders schwierig, erklärt sie. Diese könnten ihren Standpunkt teils gar nicht nachvollziehen und versuchten dann, Allison von ihrer Meinung zu überzeugen. Auch in ihrer Familie gehe sie dem Thema aus dem Weg, da ein gewisser Druck herrsche, Kinder zu bekommen. Diesen Druck nehme sie ebenso stark gegenüber ihren Brüdern wahr, doch es ergebe sich für sie gesamtgesellschaftlich ein anderes Bild: »Ich würde jetzt pauschal sagen, dass der Druck in der Gesellschaft natürlich stärker auf Frauen lastet. Einfach weil sie das reproduktive Organ haben, um ein Kind zu gebären.«

Dass Allison keine Mutter werden möchte, bedeutet keine Abneigung gegenüber Kindern. Um künftige Kinder ihrer Brüder oder Freund*innen würde sie sich trotzdem gerne kümmern. »Ich glaube, ich werde niemals einen Tag verbringen, an dem ich keinen Kontakt mit einem Kind habe.« Außerdem lehnt sie die Position ab, dass man ein gewisses Alter erreicht haben muss, um sich in der Kinderfrage eine fundierte und ernstzunehmende Meinung bilden zu können.

Der steinige Weg bis zur Sterilisation

Im Gespräch mit Allison spielt das Thema Sterilisation keine Rolle, da sie sich an ihrer Seite nur eine Partnerin vorstellen kann. Für andere Frauen ohne Kinderwunsch ist dieses Thema wiederum entscheidend. Nach Informationen der Techniker Krankenkasse lassen sich rund zwei Prozent aller Frauen sterilisieren, meist ab dem 40. Lebensjahr. Wie hoch der Anteil der kinderfreien Frauen ist, geht aus der Statistik nicht hervor. Bekannt ist aber, dass der Weg zur Unfruchtbarmachung für sie meist schwierig ist, insbesondere für jüngere Frauen.

Frauenarzt Dr. Matthias Stroth sieht einen Grund dafür in der Angst vor rechtlichen Konsequenzen, sollte eine Frau nach dem Eingriff doch noch einen Kinderwunsch entwickeln. »Wenn man als Frauenarzt viele Jahre tätig ist, dann lernt man auch, dass sich die Einstellungen von Frauen durchaus im Laufe der Jahre mal ändern«, erklärt er. In der Position, Frauen in ihren Entschluss reinzureden, sieht sich der Arzt aber nicht: »Das ist eine Entscheidung, die eine Frau selber treffen muss. Ich kann einer Frau ja nicht vorschreiben, dass sie Kinder zu bekommen hat.« Ihm sei nur wichtig, dass die Entscheidung zu einer Sterilisation nicht leichtfertig getroffen werde, da sie sich nur schwer rückgängig machen lasse.

Die Hintergründe der Frauen, die sich mit dem Wunsch nach einer Sterilisation an ihn wenden, fasst er folgendermaßen zusammen: »Das Hauptargument ist natürlich: Ich möchte keine oder keine weiteren Kinder haben. Andere Verhütungsmittel haben sie durchaus probiert, aus irgendwelchen Gründen passt es aber nicht.« Bei der Entscheidung, ob er eine Sterilisation durchführt, sei es ihm wichtig, dass die Frauen gut informiert seien und den Eindruck erweckten, sich den Eingriff gut überlegt zu haben. Sollte Stroth sich gegen die Durchführung der Operation entscheiden, achte er genau darauf, auf welche Weise er seine Entscheidung mitteilt: »Ich glaube, es ist ganz wichtig, wie man mit den Frauen redet. Dass man ihnen Argumente nennt, damit sie auch ein bisschen Verständnis für die ärztliche Seite haben.«

Mutterschaft bereuen – ein Tabu 

Anders als Allison bemerken einige Frauen erst nach der Geburt, dass sie sich in der Mutterrolle nicht zurechtfinden und ihre Mutterschaft oder Teile dieser bereuen. In diesem Kontext fällt häufig der Begriff Regretting Motherhood, der von der israelischen Soziologin Orna Donath in einer 2015 veröffentlichten Studie geprägt wurde. Auch andere Studien erforschen, wie sich Elternschaft auf die Lebensqualität auswirkt. So zeigt die Metaanalyse Parenthood and Marital Satisfaction: A Meta-Analytic Review, dass kinderlose Frauen in ihrer Ehe durchschnittlich zufriedener seien als Mütter. Außerdem gelte: Je mehr Kinder in der Familie, desto geringer die eheliche Zufriedenheit der Eltern.  

Trotz des Stigmas, das dieses Thema umgibt, trauen sich immer mehr Betroffene mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit. So auch Wiebke Schenter, die auf ihrem Instagram-Account @piepmadame auf Regretting Motherhood aufmerksam macht und ihre feministische Mutterschaft dokumentiert. Sie möchte Frauen dafür sensibilisieren, dass sie eine Wahl haben. »Ich hoffe, auch junge Frauen erreichen zu können, die vielleicht noch vor der Entscheidung stehen. Ich möchte zeigen, dass es alternative Lebenswege geben kann«, sagt sie im Gespräch mit dem Podcast GASTFAMILIE.

Sich lösen aus den Fesseln der eigenen Sozialisation

Wiebke Schenter fiel es zunächst schwer, Zugang zu ihren Gefühlen zu finden. Sich ihre Gefühle letztlich doch einzugestehen, habe sie aber als sehr befreiend empfunden. Dadurch habe sie Strategien entwickeln können, die den Familienalltag erleichtern. 

Es ist wichtig zu beachten, dass Wiebke Schenter sowie die meisten Betroffenen nicht ihre Kinder an sich bereuen. »Ich liebe meine Kinder, ich liebe mich, aber das Muttersein ist ätzend«, sagt sie in einem Instagram Reel im November letzten Jahres. Was sie an ihrer Mutterschaft bereut, seien die Mutterrolle selbst und die damit einhergehende Benachteiligung, die Verstärkung ihrer Angststörung durch die Kinder, die Fremdbestimmung und das nie endende Verantwortungsgefühl, wie sie gegenüber GASTFAMILIE erklärt. Dass sie sich diesen Folgen nicht bewusst war, bevor sie Mutter geworden ist, begründet sie damit, dass Mädchen bereits sehr früh darauf hin sozialisiert würden, einmal Mutter zu werden. Außerdem sieht sie die einseitige Darstellung von Mutterschaft als in jedem Fall positiv und erfüllend kritisch.

Allison und Wiebke teilen schließlich vor allem eine Ansicht: Dass wir als Gesellschaft Frauen vermitteln müssen, dass sie eine Wahl haben. Dass verschiedene Lebensentwürfe abseits vom idealisierten Muttermythos existieren dürfen.
*Die markierten Namen wurden auf Wunsch der Protagonist*innen verändert. Der Redaktion sind ihre wirklichen Namen bekannt.

Autor*in

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.