Der Kulturoptimist

Am Mittwoch hält Samuel-Fischer-Gastprofessor Héctor Abad seine Antrittsvorlesung. Der kolumbianische Schriftsteller sprach mit Christoph Friedrich über seine Jugend, Literatur und sein aktuelles Seminar.

"Ich bin kein Professor." Hector Abad im Gespräch. Foto:

“Ich bin kein Professor.” Héctor Abad im Gespräch. Foto: Christoph Friedrich

FURIOS: Sie machten in Ihrer Jugend eine universitäre Odyssee durch. Wie kamen Sie letztendlich zum Literaturstudium?

Héctor Abad: Mir war bereits in meiner Kindheit klar, dass ich Schriftsteller werden wollte. Jedoch war mir auch bewusst, dass sich seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller zu verdienen nicht leicht sein würde. Ich begann also einiges auszuprobieren, unter anderem Medizin und Philosophie. Mit 19 verließ ich Kolumbien und besuchte einige Literaturkurse in Mexiko-Stadt. Nach kurzer Zeit kehrte ich für ein Journalismusstudium zurück, wurde jedoch nach drei Jahren aus der Universität geworfen. Die Liebe zu meiner damaligen Freundin hat mich dann nach Italien verschlagen, wo ich letztendlich mein Literaturstudium aufnahm.

FURIOS: Wieso gaben Sie in Ihrer Jugend die Poesie auf und widmeten sich fortan Romanen?

Abad: Ich begann mit 14 Jahren mit meinem Freund Daniel Gedichte zu schreiben, zu philosophieren, Schach zu spielen. Wir sprachen auch über den Tod. Mit 17 Jahren beging er Suizid. Ich realisierte, dass die Poesie etwas sehr Gefährliches ist. Dichter werden in gewisser Weise zu Antennen der Welt. Sie durchleben Erfahrungen der Welt mit ihrem eigenen Bewusstsein. Dies ist unglaublich belastend. Daher gab ich die Poesie vorerst auf.

FURIOS: Sie haben einige erfolgreiche Romane veröffentlicht. „Brief an einen Schatten“ ist wahrscheinlich der erfolgreichste. Wie ist der Titel dieses Buches zu verstehen?

Abad: Ich habe diesen Titel gewählt, da der Roman für jemanden geschrieben ist, der ihn nicht lesen kann, nämlich mein Vater. Der Roman verarbeitet seinen Tod indem er menschliche Werte, die sich der Gewalt widersetzen, verteidigt. Dies spiegelt auch die optimistische Einstellung meines Vaters wider.

FURIOS: Ihre Kolumne „Wieso ist Paulo Coelho so schlecht? sagt viel über Ihr Verständnis von Literatur aus. Können Sie diese kurz erläutern?

Abad: Ich habe mich gefragt, warum weltweit Millionen seiner Bücher verkauft werden. Also las ich einige davon und musste feststellen, dass die Mechanismen in seinen Büchern auf weniger anspruchsvolle Leser abzielen. Wenn man die Literatur vulgarisiert, führt das dazu, dass mittelmäßige Autoren einen solchen Erfolg erzielen. Ich bin allerdings Optimist und sehe die Literatur wie eine Übung. Zu Beginn seiner Lektüren kann man ruhig Paulo Coelho lesen, jedoch sollte man es nicht dabei belassen, sondern sich Stück für Stück besseren Autoren widmen.

FURIOS: Sie bieten ein Seminar zu „Gewalt und Literatur“ an. Welche zentralen Aspekte behandeln Sie dort?

Abad: Mein Lehrstuhl wird an einen Schriftsteller vergeben, nicht an einen Professor. Ich bin kein Professor. Also kann ich Themen, die mich persönlich interessieren und betreffen in das Seminar einbringen, wie zum Beispiel der politische Mord an meinen Vater. Jedoch möchte ich nicht nur politische Gewalt, sondern verschiedenste Formen der Ausübung von Gewalt zum Gegenstand machen. Dazu zählen beispielsweise sexuelle Gewalt, Gewalt auf dem Lande oder Krieg.

FURIOS: Welche Autoren stehen im Mittelpunkt des Seminars?

Abad: Wir behandeln hauptsächlich Schriftsteller aus Lateinamerika, spanische Dichter und Autoren aus den USA. Außerdem thematisieren wir den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Dafür lesen wir „Die Flucht ohne Ende“ von Joseph Roth und „Ist das ein Mensch?“ von Primo Levi.

FURIOS: In kurzen Worten, wie sehen sie Gewalt im heutigen Kontext?

Abad: Von meinem Vater habe ich die Einstellung übernommen, die Welt optimistisch zu sehen. Auch wenn andere Leute das Gegenteil behaupten, unsere heutige Welt ist nicht so gewalttätig wie die Welt von gestern.

Antrittsvorlesung von Héctor Abad:

Odi et amo. La relación conflictiva entre Europa y América Latina.

21. Mai, 18.00 Uhr

KL 32/202

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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