Fürs Studium in eine andere Stadt, ein Auslandssemester in Peru und ein Praktikum in Amsterdam. Mobilität, Flexibilität und Unabhängigkeit prägen das Leben einer ganzen Studentengeneration. Auch in der Liebe. Von Friederike Oertel
Ein Klick auf die grüne Telefontaste. Ein dumpfes Klingeln. Ein saugendes Geräusch. Wenn das vertraute Gesicht ihres Freundes auf dem Bildschirm erschien, dann wurden für Anne aus den rund 10.000 Kilometern zwischen Deutschland und Südamerika für kurze Zeit 30 Zentimeter. Skypen gehörte für die FU-Studentin lange zum Alltag: Bis vor Kurzem führte sie mit ihrem Freund Alejandro aus Peru eine Fernbeziehung.
Anne ist nicht allein: Schätzungen einer Studie der Cornell University zufolge wird die Liebe auf Distanz für ein Viertel der Studierenden früher oder später zur Realität. Mobilität, Flexibilität und Unabhängigkeit sind die Schlagworte einer ganzen Generation geworden – und das Motiv vieler Fernbeziehungen. Ob Studium, Praktikum oder Auslandssemester, Studierende von heute sind längst nicht mehr so an ihre Heimatstadt gebunden wie noch vor gut 25 Jahren. Laut einer Statistik des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) verbrachten 1988 lediglich 657 Studenten über das Erasmus-Programm einen Teil ihres Studiums im Ausland. Im Jahr 2013 waren es bereits rund 35.000 Teilnehmer. Die FU gehört zu den deutschen Universitäten, die die meisten Studenten ins Ausland schicken. Die Zahl der entsendeten Erasmus-Teilnehmer stieg im vergangenen Jahr auf 564.
Die Anfang 20-Jährigen studieren in den Metropolen der Welt, machen Praktika, lernen sich kennen, und sie verlieben sich. Für viele ist es unerlässlich, immer wieder für kürzere oder längere Zeit den Wohnort zu wechseln. Das sei mitverantwortlich dafür, dass „viele studentische Paarbeziehungen einen transitorischen Charakter haben”, glaubt auch Hans-Werner Rückert, Leiter der psychologischen Beratung der FU.
Auch Anne hat ihren Freund während eines Auslandsaufenthaltes kennengelernt. „Über zwei Jahre hinweg bin ich danach immer wieder , erzählt sie. Das bedeutete Jobben und Fernarbeit. Doch irgendwann wollte Anne ein Studium aufnehmen. Da die Möglichkeiten in Deutschland besser schienen, hieß es für sie: Koffer packen und sich um eine gute Internetverbindung bemühen. Denn für beide war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Distanz keinen Trennungsgrund darstellt.
Rückert erklärt: „Tatsache ist, dass eine gewisse Mobilität unter Berufsanfängern schon irgendwie erwartet wird und auch karriereförderlich ist.“ Auch Studierende, die es nicht in die Ferne zieht, müssen fürs Wunschstudienfach oft umziehen. Wer keine Auslandssemester und keine Praktika vorweisen kann, hat schlechtere Karten auf dem Arbeitsmarkt. Und so nehmen insbesondere junge Akademiker für die Diplomarbeitsstelle oder den ersten Arbeitsplatz eine Fernbeziehung in Kauf.
Doch nicht nur die Anforderungen des Arbeitsmarktes begünstigen die zunehmende Zahl der Fernbeziehungen. Auch die Möglichkeiten, eine Beziehung auf Distanz am Leben zu erhalten, sind besser als je zuvor. Mit dem Billigflieger kommt man für 30 Euro von Berlin nach Mailand, mit der Mitfahrgelegenheit für 10 Euro nach Hamburg. „Auch in Bezug auf die Kommunikationsmöglichkeiten hat sich in den letzten Jahren unglaublich viel verändert“, ergänzt Rückert. In Zeiten von Facebook, WhatsApp und Skype ist es nicht schwer, über Ozeane und Ländergrenzen hinweg Kontakt zu halten, ohne sich dabei Gedanken um schwindelerregende Telefonkosten machen zu müssen. Keine Frage, die neuen Technologien haben die Liebe auf Distanz erträglicher gemacht. Anne und Alejandro haben im Laufe ihrer Fernbeziehung jeden Tag geskypt.
„Für mich war diese Kommunikation wahnsinnig wichtig. Durch den täglichen Austausch konnten wir trotz der Ferne ein Stück unseres Lebens teilen. Hätte es den häufigen Kontakt nicht gegeben, dann hätten wir uns vielleicht auseinandergelebt“, sagt sie. Trotzdem bleibt es schwierig, eine Beziehung hauptsächlich mit Telefonaten aufrecht zu erhalten. Skype kann zwar Entfernungen überbrücken, aber körperliche Nähe nicht ersetzen. Rückert betont, dass die Distanz auf Dauer Belastungen mit sich bringe, die der Beziehung schaden. „Jede Fernbeziehung braucht mittelfristig eine gemeinsame Perspektive.“ Das belegt auch die Statistik: Nach durchschnittlich drei Jahren Fernbeziehung steht ein Paar vor der Entscheidung – Trennen oder Zusammenziehen? Entfernung auf begrenzte Zeit kann sich zwar positiv auf die Beziehung auswirken – schließlich wird beiden Raum für Selbstverwirklichung gegeben und das Beisammensein erhält einen höheren Wert. Doch auf Dauer, sagt Rückert, „wünschen sich die meisten Menschen eine Art alltäglicher Verbindlichkeit, ein Teilen des Alltages.“
Fernbeziehungen, so ist es meistens, scheitern entweder oder werden irgendwann zu Nahbeziehungen. Aber vielleicht ist die zunehmende Mobilität unter Studierenden nicht nur Auslöser, sondern auch Motiv für die steigende Zahl der Fernbeziehungen: Wer mit so viel Freiheit und Millionen von Möglichkeiten konfrontiert wird, sucht eine Bindung, die Halt gibt und zugleich dem Mobilitätsanspruch genügt. Das zeigt sich im Festhalten an der Liebe trotz räumlicher Trennung. Anne formuliert das so: „Wenn Liebe Distanz und erschwerte Umstände überwinden kann, dann bindet das und gibt Sicherheit.” Mittlerweile haben sie und Alejandro den Sprung von der Fernbeziehung ins Zusammenleben geschafft.
Nachdem sie mehrmals über Monate hinweg nach Peru reiste, ist ihr Freund nun zu ihr nach Deutschland gekommen. Doch auch hier galt es Hürden zu überwinden: Sein Studenten-Visum wurde trotz aller Bemühungen abgelehnt. „Als er mir das per Skype erzählte, ist für mich eine Welt zusammengebrochen”, erinnert sich Anne. „Die Beziehung aufzugeben war für uns beide unvorstellbar. Doch auch von Fernbeziehung hatten wir die Nase voll.” Und so haben die beiden Nägel mit Köpfen gemacht. Sie haben geheiratet.