Jedes Jahr wird deutschlandweit die geringe Wahlbeteiligung bei Stupa-Wahlen beweint. Julian von Bülow hat genug davon und fordert eine radikaldemokratische Kultur – letztlich ohne Stupa.
Fünf Leute sitzen an einem Tisch und entscheiden allein über den studentischen Haushalt, der mehrere hunderttausend Euro pro Semester umfasst. So sähe das Studierendenparlament (Stupa) aus, wenn man die Wahlbeteiligung auf die 60 Stupasitze hochrechnen würde. Denn weniger als ein Zehntel der 39.193 Studierenden stimmte zuletzt bei der Wahl ab. Das zeigt, dass die meisten Studierenden kein Interesse an aktiver Demokratie an den Hochschulen haben. Um daran etwas zu ändern, braucht es eine radikaldemokratische Kultur.
Feuchter Traum „99 Prozent plus“?
Selbst wenn die Studierenden wählen, dann meist nicht aus Veränderungswillen. Im Gespräch mit FURIOS erklärten zehn Erstsemester zuletzt, warum sie wählen gehen. Sie sehen die Wahlen überwiegend als Selbstzweck: Wählen, weil man eben wählen soll. Würden 99 Prozent plus mit dieser Haltung abstimmen, könnten sich die Abgeordneten zwar wirklich Studierendenvertreter*innen nennen, aber mehr wäre damit noch nicht gewonnen.
Denn das eigentliche Problem ist, dass Demokratie an der Uni von einem überwiegenden Teil der Studierenden als Dienstleistung angesehen wird. Wähler*innen wünschen sich „ein paar Studi-Initiativen oder Demos“ oder in anderen Worten: Ich hab‘ gewählt, jetzt macht was! Veränderungen lassen sich aber nicht mit Forderung auf Papier herbeiführen. Das weiß auch der Asta, der derweil auf Facebook schimpft, dass das Wahlvolk die wirklich drängenden Probleme nicht erkannt habe und pfeffert missmutig „Lang lebe die Demokratie!“ hinterher.
Unkultur des Abnickens und Abschmetterns
Dass die meisten Studierenden kein Interesse an aktiver Demokratie haben, äußert sich nicht nur in der geringen Wahlbeteiligung. Da die Unileitungen von einer unpolitischen Studierendenschaft nichts zu befürchten haben, können sie studentische Interessen einfach übergehen. So kommt es, dass an der HU das Stupa den Rücktritt der Unispitze fordert, da sich diese wiederholt über die Autonomie des Parlaments hinweggesetzt habe, und nichts passiert. Während das Präsidium an der FU studentischem Protest mit Hausrecht und Polizeieinsatz begegnet.
Um die Studierenden zu politisieren, müssten diese Demokratie schon früher erleben. Doch leider bestehen Demokratieerfahrungen in unserer Gesellschaft überwiegend darin, Klassensprecher*innen, Prüfungsfächer und ab einem willkürlich gesetzten Alter, alle paar Jahre eine andere Person in ein Parlament zu wählen. Die konkreten Entscheidungen fällen andere. So kommt kein Gefühl dafür auf, wie formbar die eigene Welt durch eigenen Willen ist.
Saufen für den Weltfrieden zieht dann nicht mehr
Die Hochschulen brauchen aber Studierende mit der Auffassung: „Wer hat das ohne mich entschieden?“, vor denen man sich rechtfertigen muss, mit denen man sich arrangieren muss – in allen Gremien. Umgekehrt wären studentische Abgeordnete dann in der Pflicht, sich für ihre Arbeit tatsächlich zu rechtfertigen. Dann reicht „Glühwein überall immer“ als Wahlslogan nicht mehr aus, um mit 0,0007 Prozent der Stimmen aller FU Studis einen Sitz im Stupa zu bekommen. Mit einer politisierten Basis wäre das Stupa in letzter Konsequenz sogar obsolet.
Solche Studis, solche Menschen scheinen jedoch noch in der Minderheit und man wird sie nicht mit lustigen Wahlplakaten, Mailverteilern oder Glühwein hervorlocken. Dafür braucht es eine radikaldemokratische Kultur als Normalität – in WGs, Familien, Kindergärten, Schulen, Universitäten und Betrieben und man muss schon heute beginnen, sie einzufordern. Wo dann in Zukunft keine Radikaldemokratie herrscht, herrscht dann eben ein rauer Gegenwind. Brace yourself.