Fußball: Er bestimmt den Alltag der Profis, aber auch den vieler Amateur*innen. Während penible Hygienekonzepte im Profifußball allerdings für Kontinuität sorgen, sind die Emotionen der Amateur*innen Spielbälle der Verbände und Ämter. Elias Fischer.
„Schienbeinschoner? Check! Schmerztabletten? Besser haben als brauchen. Schuhe? Nie im Leben vergesse ich die.” Essentielle Fragen, die sich Fußballamateur*innen immer wieder stellen, wenn sie die Sporttasche für das anstehende Ligaspiel packen. Es grenzt beinahe an einen Ritus, wie alle Utensilien in die Tasche gepfeffert und anschließend wieder ausgepackt werden, um die Vollständigkeit zu kontrollieren. Es könnte ja was fehlen und dann steht schnell der Inkasso-Papst der Mannschaft mit dem Klingelbeutel auf der Matte. Aber vor allem dieser Ritus fehlte den Amateur*innen seit Aussetzung der Saison 19/20 im März und dem tatsächlichen Abbruch im Mai. Doch Ende August, so versprachen es die Spielansetzungen des Berliner Fußball-Verbands (BFV), sollten die Bälle seit März erstmals wieder im Ligabetrieb rollen. Also: flugs die Tasche gepackt. „Wie heiß bist du aufs Spiel? Extrem. Das heißt? Wie Frittenfett!”
Die Bombe
Doch zwei Tage vor Saisonstart, nachdem sich die kleinen Vereine in etlichen Vorbereitungsspielen und Trainingseinheiten akribisch darauf vorbereitet hatten, zündet der BFV eine Bombe: „BFV-Spielbetrieb wird für eine Woche ausgesetzt”, hieß es in einer Pressemitteilung. Wie aussetzen? Der BFV reagierte mit der Verlegung des Saisonstarts auf das neue Rahmen-Hygienekonzept der Bezirksämter (BA). Die Bezirksämter konnten anschließend froh sein, dass die Spieler*innen die zahlreichen Kommentare in mannschaftsinternen WhatsApp-Gruppen nicht in die Tat umsetzten. Andernfalls wären gefesselten Beamt*innen wahrscheinlich seit Jahren vor sich hin modernde Trainingsleibchen unter die Nase gehalten worden. Lynchjustiz mit Mistgabeln und Fackeln ist da humaner. Kurz: Unter den Amateur*innen herrschte Wut statt extremer Euphorie.
Während die Wut über die Aussetzung schließlich abflaute – es ist ja bloß eine Woche – und die Augen über den Rest der Pressemitteilung flogen, grätschte ein Satz im Stile eines Sol Campbell wuchtig in das halbherzige Leseverhalten: „Stand heute ist eine ordnungsgemäße Durchführung der Saison gefährdet.” Stopp: Vorbereitungsspiele und Training in Vereinseigener Regie sind seit Wochen erlaubt, reguläre Ligaspiele aber künftig nicht? Das ist beinahe so, als duldeten die Eltern Plünderungen des Süßigkeitenschrankes, aber hauten den Kindern auf die Finger, wenn diese von ihrer Geburtstagstorte naschten. Extremes Unverständnis machte sich breit und das Wort „gefährdet” bedeutete in der Enttäuschung für viele Spieler*innen schon den Saisonabbruch. Das brodelnde Frittenfett war mittlerweile erstarrt.
„10-Punkte-Plan“
Gestern erschien eine neue Pressemitteilung des BFV, die heute noch Hoffnung macht. Es enthält einen „10-Punkte-Plan zum Wiedereinstieg in den Spielbetrieb der Saison 2020/2021”. Abgesehen davon, dass der Einstieg in den Spielbetrieb noch nicht erfolgt und somit ein Wiedereinstieg unmöglich ist, enthält er eines: extreme Besorgnis. Der Plan beinhaltet, dass Vereine Hygienekonzepte vorlegen; dass der Spielplan, der statt Hin- und Rückspiel nur ein Aufeinandertreffen der Teams in einer Liga vorsieht, entzerrt wird; und dass der BFV eine Corona-Arbeitsgruppe einrichten wird. Alles, um flexibler auf die Entwicklungen der Pandemie reagieren zu können. Denn: „Die Gesundheit aller Mitglieder im BFV steht an erster Stelle”, heißt es im Plan. D.h. Fußballspielen ist phänomenal und wichtig, aber nicht um jeden Preis.
Der BFV und die BA liegen damit richtig, auch wenn Fußballfanatische sich im ersten Moment wie der Spielball der verantwortlichen Institutionen fühlen mögen. Sepp Herberger sagte einst: „Ein Spiel dauert 90 Minuten.” Vielleicht sollten sich alle Amateur*innen als ein Team begreifen, das im Spiel gegen den Virus mit der Strategie des „10-Punkte-Plans” unbedingt den Sieg erringen will – in 90 zähen, aber möglicherweise extrem atemberaubenden Minuten, die aus zig einzelnen Ligaspielen bestehen. Wenn die Strategie bedingt, dass nur die Hälfte aller Ligaspiele ausgetragen wird und die Pandemie uns enorme Flexibilität abverlangt, werden wir Amateur*innen in jedem davon eben doppelt so standhaft und doppelt so heiß sein! Doch, was ist doppelt so heiß wie Frittenfett? Die Vorlage von José María Guti auf Karim Benzema? Ach, schaut einfach selbst: Oh, mein Guti.