An der FU gibt es 44 Frauenbeauftragte, die sich für Gleichberechtigung einsetzen. Im Interview mit Marie Blickensdörfer erzählen drei von ihnen von ihrer Arbeit in Berufungskommissionen, strukturellen Problemen und aktuellen Herausforderungen.
Esther Hülsewede und Nina Lawrenz konzentrieren sich als stellvertretende zentrale Frauenbeauftragte vor allem auf den strukturellen-organisatorischen Bereich. Ellinor Trenczek ist dezentrale Frauenbeauftragte am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften.
FURIOS: Wer sind Sie und was sind Ihre Aufgaben als zentrale bzw. dezentrale Frauenbeauftragte?
Esther Hülsewede: Nina Lawrenz und ich sind die Stellvertreterinnen der zentralen Frauenbeauftragten, Ellinor ist eine der dezentralen Frauenbeauftragten. Mit unseren Fachbereichen, Zentralinstituten und der Universitätsverwaltung hat die FU viele Einheiten – alle haben eigene dezentrale Frauenbeauftragte, insgesamt 44 Personen. Ein Großteil der Gleichstellungsarbeit an der FU wird direkt bei ihnen in den Fachbereichen geleistet.
Ellinor Trenczek: Meine Arbeit als dezentrale Frauenbeauftragte am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften besteht hauptsächlich aus Berufungskommissionen und Vorstellungsgesprächen. Ich schaue, dass dabei die Gleichberechtigung gewährleistet bleibt, dass keine Diskriminierung stattfindet. Natürlich versuchen wir auch, Frauen in Professuren zu bekommen, weil wir in diesem Bereich nach wie vor ein krasses Defizit haben. Außerdem unterschreiben wir Einstellungsanträge und Weiterbeschäftigungen und müssen bei Arbeitszeitveränderungen und Ausschreibungen unsere Zustimmung geben.
Ich unterstütze auch dabei, dass gendergerechte Sprache berücksichtigt bleibt. Außerdem ist ein großer Teil Beratung, beispielsweise zu Frauenförderung, beruflicher Weiterbildung oder Erziehungsverantwortung im Studium. Aber auch unschöne Themen wie sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt gehören dazu. Für mich ist das einer der wichtigsten Teile von dem, was wir leisten: dass wir ansprechbar sind und Betroffene wissen, dass sie nicht alleine gelassen werden. Zudem führen wir Projekte durch: Workshops, Vorträge aus den Bereichen Gender und Diversity, der GirlsDay oder die lange Nacht der Wissenschaften. Und wir unterstützen mit Fördermitteln und Förderpreisen.
„Beim Thema Frauen auf Professuren braucht es Role Models.“
Nina Lawrenz, stellv. zentrale Frauenbeauftragte an der FU
Nina Lawrenz: Wir zentralen Frauenbeauftragten versuchen, das Ganze von zentraler Seite aus zu flankieren und die nötigen Gleichstellungsstrukturen zu schaffen. Wir haben den Auftrag, das Präsidium zu beraten, zum Beispiel bei der Einrichtung neuer Frauenförderprofessuren oder Gleichstellungsprogramme. Gerade der Bereich der Professuren ist für uns ein zentrales Thema. Die FU steht ja im deutschlandweiten Vergleich in Bezug auf die Berufung von Frauen gar nicht so schlecht da – wir sind momentan bei 34%. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns natürlich, dass sich der Anteil an Professorinnen, gerade auch an bisher eher unterrepräsentierten Fachbereichen, erhöht. Es braucht Role Models. Frauen auf Professuren sind wichtig für die Karriere der einzelnen Personen, aber auch für die Organisationskultur der ganzen Universität.
Was sind konkret Ihre Möglichkeiten, bei Vorstellungsgesprächen mitzuwirken – gerade wenn Sie merken, da funktioniert etwas nicht so, wie es sein sollte?
Trenczek: Das ist ein mehrstufiger Prozess. Schon bei der Ausschreibung, die wir gegenzeichnen müssen, können viele Punkte auffallen: Formulierungen etwa, die Frauen eher abschrecken, oder wenn Ausschreibungen nicht gendergerecht formuliert sind. Wenn der Prozess angelaufen ist, müssen die Frauenbeauftragten an den Einstellungsprozessen beteiligt werden. Das bedeutet, dass wir Zugang zu allen Informationen bekommen, die damit zusammenhängen. Wir können auch nachfragen, warum bestimmte Personen nicht eingeladen wurden.
Im Vorstellungsgespräch werden zum Glück kaum noch Fragen gestellt wie „Haben Sie denn vor, schwanger zu werden?”, aber man muss schon aufpassen und Fragen raushören, die in so eine Richtung zielen. Da können wir als Frauenbeauftragte eingreifen. Wir können auch verlangen, dass eine Person nochmal nachgeladen und angehört wird. Außerdem können wir unsere Unterschrift zu einem Vorgang verweigern. Das führt nicht immer dazu, dass neu ausgeschrieben wird, aber wir haben da schon ein gewisses Vetorecht.
Natürlich sind wir auch davon abhängig, dass die Personen, mit denen wir zusammenarbeiten, mit uns kommunizieren. Es gibt Personen, die uns komplett abblocken; nicht alle Personen an der Universität sind begeistert von dem, was wir tun. Manchmal wünscht man sich, dass die eigene Meinung, also das Veto, das man einlegt, ernster genommen wird. Und natürlich könnte unser Einfluss auch noch größer sein, gerade in den Berufungskommissionen.
Welche Defizite sehen Sie in Ihrer Rolle in den Berufungskommissionen?
Trenczek: Wir sind nur beratend in Berufungskommissionen, wir können nicht mit abstimmen. Unsere Stimme hat innerhalb der Berufungskommission kein Gewicht und das ist natürlich sehr schade. Unsere Einsprüche sollten nicht nur Papiertiger sein, die 14 Tage liegen gelassen und dann verworfen werden mit der Haltung – wir haben jetzt zwei Wochen abgewartet, und sind immer noch der Meinung, dass wir Recht haben. Auch würde ich mir in der Berufungskommission mehr Zeit wünschen, um ausführliche Fragen zum Thema Gleichstellung zu stellen.
Lawrenz: Unsere dezentralen Kolleg*innen kommen ja aus verschiedenen Statusgruppen, wir haben Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, aber auch Personen aus Verwaltung und Technik. Deshalb sind wir damit konfrontiert, dass diese Frauenbeauftragten nicht so ernst genommen und auf ihre Statusgruppe verwiesen werden. Da würden wir uns wünschen, dass diese Personen in ihrer gesetzlich geregelten Kompetenz als Frauenbeauftragte ernst genommen werden.
„Wir wünschen uns, dass alle Frauenbeauftragten, egal aus welcher Statusgruppe, in ihrer gesetzlich geregelten Kompetenz ernst genommen werden.“
Nina Lawrenz, stellv. zentrale Frauenbeauftragte an der FU
Trenczek: Das kann ich als Studentin nur so unterstützen. Mittlerweile bin ich ja schon länger am Fachbereich und die meisten trauen sich nicht mehr, mir so etwas zu sagen. Aber ich musste mich schon beweisen, um die entsprechende Kompetenz zugesprochen zu bekommen. Gerade am Anfang meiner Amtszeit habe ich oft gehört, dass ich mich zu gewissen Themen in Berufungskomissionen nicht äußern sollte, weil ich die wissenschaftliche Kompetenz nicht hätte.
Und mit welchen Anliegen wenden sich die Universitätsangehörigen sonst so an die dezentralen Frauenbeauftragten?
Hülsewede: Momentan ist das vor allem die Bewältigung von Care-Aufgaben.
Lawrenz: Wir sehen an der FU, was teilweise auch schon durch wissenschaftliche Studien dargestellt wurde, dass Wissenschaftler*innen mit Familie gerade wenig Zeit für ihre Lohnarbeit und Publikationen finden. Man geht davon aus, dass es einen gender publication gap geben wird, in Anlehnung an den gender pay gap; dass also Frauen mit Familienaufgaben durch den Lockdown und geschlossene Schulen und Kitas keine Zeit finden, an ihrer Karriere zu arbeiten, ihre Doktorarbeit fertig zu schreiben, sich auf Projekte zu bewerben oder Netzwerke zu schaffen.
„Man geht davon aus, dass es einen gender publication gap geben wird, in Anlehnung an den gender pay gap.“
Nina Lawrenz, stellv. zentrale Frauenbeauftragte an der FU
Wir von zentraler Seite versuchen im Einzelfall zu beraten, aber diese Themen auch auf struktureller Ebene im Präsidium oder im akademischen Senat anzustoßen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war und ist immer eine Schwierigkeit. Forschende haben sich oft nicht getraut, das Thema in der öffentlichen Debatte aufzubringen, weil sie als Wissenschaftler*innen wahr- und ernstgenommen werden möchten und der Fokus auf Carearbeit weiterhin eher in den privaten Bereich verschoben wird.
Wie gehen Sie mit diesen Problemen auf struktureller Ebene um?
Lawrenz: An der FU sollen potentialorientierte Auswahlverfahren eingeführt werden. Das heißt, wir schauen in Einstellungs- und Berufungsprozessen weniger auf Anzahl und subjektive Qualität der Publikationen, sondern eher, welche Forschungs- und Lehrkonzepte die Kandidat*innen einreichen und welche außerfachlichen Kompetenzen sie mitbringen.
Spiegelt sich in Ihrer Beratungsarbeit auch der Anstieg von häuslicher und sexualisierter Gewalt durch die Pandemie?
Lawrenz: Ein hoher Anstieg von Cyber-Gewalt und Stalking wird uns von vielen deutschen Hochschulen berichtet. In den letzten anderthalb Jahren haben bedingt durch die Onlineveranstaltungen weniger sexualisierte Diskriminierung und Übergriffe innerhalb der Hochschule stattgefunden, dafür aber vermehrt in sozialen Netzwerken. Das Thema wird stark an uns herangetragen.
„Seit Beginn der Pandemie findet viel mehr Belästigung, Diskriminierung und Stalking über die digitalen Medien statt.“
Ellinor Trenczek, dezentrale Frauenbeauftragte am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften
Trenczek: Es findet viel mehr Belästigung, Diskriminierung und Stalking über die digitalen Medien statt, weil die Leute offensichtlich eine geringere Hemmschwelle haben, wenn sie nicht direkt damit konfrontiert werden können. Auch Dozierenden gegenüber: Zum Beispiel Hassnachrichten von Studierenden, oft mit sexistischem Inhalt. Das gab es auch vorher schon ab und zu, aber nicht in diesem Ausmaß.
Bei häuslicher Gewalt hat es bei mir in der Beratung keinen expliziten Anstieg gegeben, aber die Mehrheit der Betroffenen ist auch schon vor Corona nicht zu uns gekommen, weil sie sich damit nicht wohl fühlen und nicht sicher sind, ob das überhaupt eine Erfahrung ist, die sie mit uns teilen können. An uns werden vor allem Dinge herangetragen, die wirklich im Uni-Kontext passieren. Eine ganz häufige Sorge von Betroffenen ist auch, dass das gar nicht wichtig genug wäre oder dass sie überreagieren würden. Aber wir sagen ihnen: Nein, es ist berechtigt, dass ihr euch so fühlt und wir unterstützen euch und hören euch zu.
Hülsewede: Das beschäftigt uns natürlich auch sehr, dass viele die Beratungsangebote an der FU gar nicht kennen. Wir möchten die Strukturen sichtbarer machen und professionalisieren. 2016 wurde auf zentraler Ebene die AG SBDG eingerichtet, die Arbeitsgruppe gegen sexualisierte Belästigung, Gewalt und Diskriminierung, das Thema wurde also strukturell und nachhaltig verankert in der Hochschule. Diese Professionalisierung der Arbeit zu SBDG mit eigener Mailadresse und Webseite kam quasi zeitgleich mit der Coronapandemie, und da ist wirklich ein immenser Beratungsbedarf entstanden. Das zeigt uns, dass sich in der Pandemie wirklich etwas zugespitzt hat im Bereich SBDG, aber auch, dass es wirklich vonnöten ist, dass wir die Beratungsstrukturen stetig professionalisieren.
Diese Beratungsangebote richten sich sowohl an Studierende, als auch an alle anderen Universitätsangehörigen?
Trenczek: Ja, wir sind ansprechbar für alle Mitglieder der Hochschule. Ich bin auch nicht nur für Frauen ansprechbar: Egal welche Statusgruppe, Personen beliebigen Geschlechts können zu mir in die Sprechstunde kommen und ich schicke niemanden weg, der Bedarf hat.
Mit welchen anderen Diskriminierungsformen sind Sie denn noch konfrontiert?
Trenczek: Unser Berufsfeld ist stark im Wandel und das hängt viel mit Diversity zusammen. Ich glaube was wichtig ist, dass wir einzelne Aspekte von Diskriminierung nicht gegeneinander ausspielen, dass wir nicht dreißig verschiedene Beauftragte einrichten, die am Ende gegeneinander arbeiten, oder Fördermittel immer weiter aufgeteilt werden und am Ende wenig für einzelne Betroffenengruppen übrig bleibt. Da müssen wir auch einfach eine höhere Sensibilität schaffen, damit das nicht so eine abstrakte Diskussion bleibt, sondern klar ist, dass Diversität zur Hochschulrealität dazugehört.
Lawrenz: Ich denke da sehen wir uns ein bisschen als Vermittler*innen an die Hochschulmitglieder. Diversity-Thematiken sind mitten in der Gesellschaft angekommen, nichtsdestotrotz ist ein intersektionales Geschlechterverhältnis in der Umsetzung manchmal nicht so einfach. Wir versuchen, auch für verborgene Diskriminierungsstrukturen zu sensibilisieren, unter Mitarbeiter*innen, Studierenden und Lehrenden. Wir haben beispielsweise die Toolbox Gender and Diversity in der Lehre, für eine gender- und diversitätsbewusste Lehre.
Trenczek: Die verschiedenen Diskriminierungsformen, sei es aufgrund von Religion, Herkunft, sozialem Status, Sexualität oder anderem, existieren nicht losgelöst voneinander, sondern sind häufig miteinander verschränkt sind. Dann können wir als Frauenbeauftragte nicht sagen, wir beschäftigen uns nur mit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und alles andere ignorieren wir, weil das in der Praxis so überhaupt nicht umsetzbar ist. Menschen sind ja nicht eindimensional.
Was sind Ihre Ziele für dieses Jahr und was sind die großen Fragen in der näheren Zukunft?
Trenczek: Also Themen wie Vereinbarkeit, Publication Gap, Gleichstellung und Professuren werden auf jeden Fall immer kommen.
Lawrenz: Was sich jetzt verstärkt zeigt, ist das Thema Antifeminismus, es gibt einen konservativen Backlash, die rhetorischen Angriffe gerade auf Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sind stärker geworden. Darauf muss politisch reagiert werden. Auch die Hochschulen erhalten immer wieder Anfragen, beispielsweise vonseiten der AfD, zu den Aktivitäten der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, und auch die Geschlechterforschung ist ja immer wieder Angriffen ausgesetzt. Dem versuchen wir gesamtgesellschaftlich entgegenzuwirken, beispielsweise mit Öffentlichkeitsarbeit.
Trenczek: Für uns Gleichstellungsakteur*innen an den Berliner Hochschulen ist es auch wegen der anstehenden Wahlen eine besondere Situation, je nachdem wie Parteien abschneiden, die beispielsweise Antifeminismus vorantreiben. Das würde uns inhaltlich und finanziell treffen.