Wortrausch: Unkrautblumengarten

In der neuen Rubrik Wortrausch bieten wir Autor*innen eine Plattform für kreatives Schreiben, von Kurzgeschichten über Lyrik bis hin zu bloßen Gedankenströmen. Den Anfang macht Matthis Borda umgeben von Unkraut und Blumen.

Ein magischer Ort im Grünen. Foto: Pexels.

Unkrautblumengarten von Matthis Borda

Wir lieben unseren Garten, auch wenn er streng genommen gar nicht unser Garten ist, aber der Mann benutzt ihn nicht und wir schon, also gehört er uns. Wer’s findet, darf’s behalten und wir haben mal einen Stock gefunden, der ein Schwert war, den durften wir behalten und hinter der alten Tür haben wir einen Ort gefunden, einen magischen, und den dürfen wir auch behalten. Die alte Holztür schwingt nachts im Wind und ruft nach uns. Magieholztür aus Magietürholz, Holztürmagie.

Der Garten ist schön, er ist wild. Würde ihn keine Mauer umzingeln, würde er die ganze Stadt verwüsten, aber die Mauer ist da und hält ihn im Zaum. Kein Garten ist wie dieser, andere sind kahl und heiß, wegen der brennenden Sonne, aber hier verstecken sich Eichhörnchen im Schatten der Tannen. Tannenschatten, Schattentannenhörnchen. Wir liegen auf unserer Jacke. Schatten, buschiges Gras, Apfelbäume, Unkrautblumen und Brombeersträucher und ein alter Steinkopf mit nur einer Schulter liegen zwischen uns und dem Haus, zu dem der Garten gehört, was nicht stimmt, denn dieser Teil hier hinten gehört uns. Unkrautblumengarten, Gartenblumenunkraut. Wir können das Haus mit einem Daumennagel verdecken, es verschwinden lassen und nicht mehr beachten.

Von hier, von unserem Tannenschatten, schauen wir hoch. Die Wolken streiten mit den Schattentannen um unsere Aufmerksamkeit. Die einen schenken uns ihre Zapfen und die anderen bilden lustige Formen, nur für uns. Und wir liegen hier und lassen uns beschenken wie Königinnen. Denn wir herrschen über diesen Garten, er gehört uns. Aber wir lesen über andere Orte, die wir genauso lieben, die uns gehören, magische Orte, Königinnenreiche, denn wir leben überall und nirgendwo, manche von uns mehr woanders als andere hier. Wir lesen zusammen, wie sollte man auch allein lesen? Das ist unmöglich, lesen geht nicht allein. Wir lesen und kichern und rollen über das von Nadeln bedeckte piksige Gras. Nadelgras, Grasnadeln. Nagrasdeln.

Es ist der Mann, der nie hier ist. Er erschreckt uns. Der Herr der Unkrautblumen, der unseren Garten nicht nutzt. Wir schützen unsere Bücher vor seinen beißenden Blicken. Blickbiss, Bissblick.

Er fragt nach Mama und wir schütteln den Kopf. Wir sagen ihm nicht, dass sie sich keine Sorgen macht, dass sie das nie macht und uns nicht egal ist, dass ihr alles egal ist, denn wenn wir dann von unseren Abenteuern zurückkommen, dann heißt es Schlafenszeit oder kämpfen und Mama verschüttet Rotwein über den Teppich und weint. Rotweinteppich. Teppichweinrot. Wir können niemandem davon erzählen außer uns. Wer hat es laut gesagt? Wer ist die Petze? Selber Petze.

Wir können hierbleiben! Aber das hätten wir sowieso gemacht. Niemand schreibt uns etwas vor. Wir nicken. Er lächelt. Aber wem wir Bescheid sagen, das entscheiden wir. Wir sind Kinder von vielen und wir leben hier und überall, manche mehr zusammen als andere allein.

Wer ist wir? Das heißt: Wer sind wir? Grammatikfehler. Wir sind wir. Wo sind die anderen? Welche anderen? Es gibt keine anderen. Es gibt nur uns und wir sind hier. Geh. Wir beantworten keine dummen Fragen.


Schreibst Du auch gern kreative Texte und möchtest eine Plattform finden, auf der Du diese veröffentlichen kannst? Genau für diesen Zweck wurde Wortrausch ins Leben gerufen. Die Kulturredaktion von FURIOS freut sich über alle Einsendungen – von Lyrik bis Prosa – an kultur@furios-campus.de.

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