Vor 50 Jahren wurde das erste deutsche Institut für Judaistik gegründet – an der FU Berlin. Die Feierlichkeiten zum Jubiläum verfolgten Lior Shechori und Christopher Gripp.
Jubiläum feiern heißt auch immer: Erinnerung zelebrieren, Geschichte in den Fokus rücken. Und im Falle des Instituts für Judaistik der Freien Universität ist letztere von besonderer Bedeutung. Beinahe 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg formierte sich in Deutschland die „Wissenschaft des Judentums“ als Fach. Im Herbst 1963 gründete Jacob Taubes an der FU das deutschlandweit erste Institut für Judaistik. Im Sommersemester 1964 wurden die ersten Vorlesungen gehalten.
Es nimmt also nicht Wunder, dass beim 50. Jahrestag des Instituts die Thematik der deutsch-jüdischen Geschichte sehr präsent war. Der Festakt wurde am 16. Juni mit einem Konzert im Jüdischen Museum eingeleitet. Der italienische Pianist Roberto Prosseda spielte Stücke des deutsch-jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy.Höhepunkt des Abends war die Uraufführung des eigens für diesen Anlass komponierten Stücks „Mendelssohn im Jüdischen Museum Berlin“. Komponist Luca Lombardi zitierte und transformierte Mendelssohns Werk. Aber warum Mendelssohn spielen, um die Judaistik zu feiern?
Lieder ohne Worte
Wohl, weil nicht nur sein Leben, sondern auch die Rezeption seines Werkes von Antisemitismus geprägt wurde. Niemand geringeres als Richard Wagner bündelte in der Schmähschrift „Das Judentum in der Musik“ gängige antisemitische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und lenkte so die Aufmerksamkeit von Mendelssohns Werken auf dessen Judentum.
Teils erfolgreich: Während Wagners Platz in der Musikgeschichte gesichert ist, wird Mendelssohn vielmals noch als Komponist zweiten Ranges eingestuft. Doch als Prossseda im Konzert die „Lieder ohne Worte“ anstimmt, beweist er: Es bedarf nicht der Worte, allein schon Mendelssohns Kompositionen strafen die Vorurteile Lügen.
„Sham“ – „dort“
Am 17. Juni gingen die Feierlichkeiten mit einer Diskussion mit David Grossman, einem der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Israels, weiter. Als Sohn von Holocaustüberlebenden thematisiert er in seinen Büchern häufig ebendiesen Teil der jüdischen Geschichte.
Sein Buch „Stichwort: Liebe“ kreist um das Motiv des „Sham“, auf Deutsch „dort“. Der junge Momik erfährt durch bruchstückhafte Unterhaltungen zwischen den Erwachsenen um ihn herum vom Grauen, das „Sham“ stattgefunden hat. Niemals wird diesem „dort“ ein Name gegeben: „Für mich ist ‚Sham‘ ein Ort, der keine Worte hat. Aber wir müssen trotzdem Worte finden, um ihn zu beschreiben“, erklärt Grossman.
Grossman berichtet auch von seiner eigenen Erfahrung mit der Geschichte. In der Angst aufgewachsen, die Shoah könne sich wiederholen, fand der Autor es schwer, nach Deutschland zu reisen. „Ich bin zum ersten Mal nach Deutschland gereist, nachdem mein Name auf einem Buch stand“, erzählt er. „Juden wurden während des Holocausts auf absolute Anonymität reduziert und ich glaubte, dass dies nicht passieren könnte, wenn mein Name auf einem Buch steht.“
Verflechtungen feiern
Mittlerweile ist es 25 Jahre her, dass Grossman sein erstes Buch in Deutschland publizierte, 70 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen und 165 seit der Veröffentlichung von „Das Judentum in der Musik“. Knapp 30 Studierende nehmen jedes Jahr an der FU das Studium der Judaistik auf. Sie stellen sich der Herausforderung, das Verhältnis zwischen Judentum und Deutschland zu verstehen und verständlich zu machen. Und die tiefen kulturellen Verflechtungen, die an Personen wie Mendelssohn und Grossman sichtbar werden, zu beleuchten, zu befeuern und zu feiern.