Das Lebewesen im Mittelpunkt

In einer Garage im Hinterhof stellte der Aktzeichenkurs des Kulturwerks in einer Pop-up-Ausstellung am 09. Juni seine Kunstwerke zur Schau. Sophie Meub hat sich angesehen, wie die jungen Malermeister*innen den menschlichen Körper zu Papier bringen.

Selbstbewusster Minimalismus bei der Ausstellung des Aktzeichnenkurses. Foto: Michael Schulte/Kulturwerk

Es ist Donnerstagabend, der fensterlose Raum ist eine Mischung aus rauem Betonboden und blütenweißen Wänden. Das Tor steht offen, hier ist jeder willkommen. Die Stimmung ist gut und im Raum herrscht ein angeregtes Getuschel. Die Bar folgt dem Konzept des selbstbewussten Minimalismus: Es gibt Sekt.

Das Licht strahlt von Leuchtröhren an den Wänden, die den Blick auf das Wesentliche lenken: Hier präsentiert sich der Kulturwerk-Aktzeichenkurs des Wintersemesters 2021/22 und Sommersemesters 2022. Dessen Werke, fast alle im DIN-A4-Format, sind rundum an die Wände geklebt und laden zur näheren Inspektion ein. Es gibt große stilistische Unterschiede. Dabei ist klar erkennbar, welche Bilder von ein und derselben Hand gezeichnet wurden. Manche entsprechen genau dem, was man sich unter dem Schlagwort Aktzeichnen vorstellt: ein menschlicher Körper, dessen Konturen mit sauberen Bleistiftstrichen eingefangen werden. 

Eine Menschheitsstudie

Viele Bilder nehmen jedoch auch andere Perspektiven ein: Sie spielen mit Materialien, mit Farben, abstrahieren einzelne Gliedmaßen oder lassen ihrem Modell Hörner wachsen. Es fällt auch auf, dass die meisten Zeichnungen ihre Objekte dezidiert desexualisieren. Hierbei wird der Schambereich abstrahiert. Die Gesichtsausdrücke auf den Bildern sind meist nachdenklich und ihre Körperhaltung locker, teilweise sogar in sich zusammengesunken. Es geht nicht darum, den Körper zur Schau zu stellen. Hier muss niemand eine Pose einnehmen.

Die Ausstellung wirkt wie eine Menschheitsstudie, ein Blick auf das Material unserer Existenz. Die Kursteilnehmer*innen sind nicht nur talentiert, sondern bieten kreative und teilweise sehr unterschiedliche Interpretationen derselben Modelle an. Die variierende Wirkung eines menschlichen Körpers sowie die große Stärke der Perspektivenvielfalt werden hier direkt erfahrbar. 

Der Aktzeichnenkurs präsentiert seine Werke. Foto: Michael Schulte/Kulturwerk

Den Körper kreativ erfahren

Die Besucher*innen der Ausstellung sind die üblichen Verdächtigen: Anfang zwanzig, alternativer Kleidungsstil, eine bunte Mischung an Charakteren. Man sieht ihnen die Kunstaffinität an, viele haben selbst etwas zur Ausstellung beigesteuert. Eine Studentin und Teilnehmerin des Kurses, deren Bilder sich durch leuchtende Farben und eine spürbare Emotionalität auszeichnen, erzählt ein wenig mehr über die Veranstaltung. In erster Linie gehe es hier um den Spaß und darum, dass es einen Termin pro Woche gibt, auf den man sich einfach freuen kann. Das Ganze solle nicht so ernst genommen werden: Ziel sei nicht, jemanden perfekt abzubilden. Man könne einfach ein wenig rumprobieren, verschiedenes austesten und ruhig etwas kreativer sein. 

Die Materialien wurden teils selbst mitgebracht, teils aber auch von den Kursleiter*innen bereitgestellt. So erklärt Michael Schulte, FSJler und Betreuer der Veranstaltung, auch den hohen Grünanteil in den Kunstwerken. Es werde mit dem gearbeitet, was zur Verfügung stehe. Dieses farbliche Konzept findet sich auch im Set-up der Gesprächsrunde im Zentrum des Raums wieder. Ein Kreis aus schilfgrünen Stühlen umringt eine knapp 1,50 Meter große Zimmerpflanze. Dieses Arrangement stehe symbolisch für das Aktzeichnen: In der Mitte steht das Lebewesen. Das spiegelt sich auch in der Ausstellung. Hier wird der menschliche Körper gewürdigt und zelebriert – in all seinen Facetten und Arten, wie er in Erscheinung treten kann.


Der Kurs findet auch dieses Semester wieder statt: Jeden Montag finden sich im FREIRAUM im Studentenhaus ca. 30 Studierende zusammen, die unter der Leitung von Paula Schwabe ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Insgesamt sind es fast 100 Leute, die mal mehr und mal weniger häufig zu den Kursen erscheinen. Der Kurs ist offen: Jede*r, die*der an der FU oder einer Partneruniversität immatrikuliert ist, darf hier Picasso sein.

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