Willkommen in der Porno-Revolution?

Selbstbestimmung und Diversität sind nicht die ersten Assoziationen zu Online-Pornographie. Hoffnung auf Veränderung bringt OnlyFans. Wahr gewordene Utopie oder Spitze des Plattformkapitalismus? Von Dune Korth und Pauline Hofmann.

Der 20-Jährige Marius verdient seinen Lebensunterhalt mit Amateur-Pornographie auf der Plattform OnlyFans. Bild: Simon Geiger

Während andere 20-Jährige gerade ihr Studium beginnen, von einem prekären Arbeitsverhältnis ins nächste stolpern oder mit einer Ausbildung ihr Glück versuchen, verdient der Berliner Marius Rohde monatlich bereits fünfstellige Summen. Dieses Geld bescheren ihm Fotos und Videos im Internet. Das Motiv? Er und sein Körper. Klar, ein Influencer, der sein Geld mit Werbeeinnahmen auf Instagram verdient, mag so manche*r beim Lesen annehmen. Doch Marius’ Content ist nur über ein monatliches Abo verfügbar – und sehr viel expliziter, als es auf Instagram sein darf. Denn er produziert Amateur-Pornografie auf der Internetplattform OnlyFans.

Blonde Löckchen, wache blaue Augen und ein verschmitztes Grinsen. Sein Instagram-Feed zeigt Marius im Urlaub und in Cafés, am Strand oder in schicken Klamotten auf den Straßen Berlins. Nur hin und wieder schleicht sich ein oberkörperfreies Bild ein. Für 15 US-Dollar monatlich kann man Marius von einer anderen Seite kennenlernen – auf OnlyFans bekommen Abonnent*innen tiefe Einblicke in seine sexuellen Vorlieben, Fetische und das Sexleben mit seinem Freund.

Das Geschäftsmodell von OnlyFans ist denkbar einfach: Sogenannte Creators wie Marius laden auf eigenen Kanälen Bildmaterial hoch. Um dieses sehen zu können, ist ein monatliches Abo fällig, dessen Preis die Creators selbst bestimmen. 20 Prozent ihrer Einnahmen bleiben bei der Plattform. Boomen konnte die Seite vor allem aufgrund der Pandemie. Nicht nur Seminarräume, Feierabendbiere und Arbeitsplätze mussten ins Virtuelle umziehen, sondern eben auch die Sexarbeit. Zu OnlyFans gehören zwar auch virtuelle Yogakurse und Gitarrenunterricht, ihre DNA ist aber schnell die Pornografie geworden.

Ersteller*innen für Content direkt zu bezahlen, statt sie in dauerhafte Werbefiguren zu verwandeln, ist an sich schon eine progressive Idee. Gerade im Bereich der Pornografie wurde OnlyFans so bereits früh ein revolutionäres Potenzial zugeschrieben. Ohne Arbeitshierarchien durch Regisseur*innen und Produzent*innen könnten Pornodarsteller*innen frei ihre eigenen Narrative entwickeln und würden dafür auch noch direkt bezahlt, so die Hoffnung. Damit einhergehen würden diversere Darstellungen von Sex und Körpern, mit denen sich auch die Darsteller*innen wohlfühlten. Diese Art der Selbstbestimmung habe Sexarbeit für immer verändert, titelte die New York Times schon 2019. Was ist dran an der sexuellen Revolution auf OnlyFans?

In Marius’ Augen unterscheidet sich seine Arbeit völlig von professionell produzierten Videos, die auf Mainstream-Pornoseiten zu finden sind: „Die sind viel zu übertrieben. Niemand brüllt so beim Sex rum.” Mitmachen möchte er in solchen Produktionen nicht. Denn auf OnlyFans sei alles privater und vor allem echter. So finde sich auf seiner Seite nur Material, das er selbstbestimmt produziert hat. Dabei gefalle ihm der Gedanke, dass Menschen auf seine Bilder masturbieren. „Sonst würde ich das auch nicht machen”, meint er. Außerdem schätzt Marius an seiner Arbeit, nicht an einen festen Ort gebunden zu sein: „Ich kann überall Sex haben und mir einen runterholen.”

Seinem Kanal folgen momentan 1.600 Menschen, die regelmäßig mit neuem Content überrascht werden wollen. Zweimal die Woche postet er deshalb neue Fotos und Videos, montags und freitags. Zeit für Urlaub und ‚Digitalfasten’ bleibt da wenig. Das brauche er aber auch nicht, erklärt er. 

Allerdings besteht das Produkt auf OnlyFans nicht allein aus dem hochgeladenen Content. Abonnent*innen suchen auch Nähe und Intimität. Denn nicht nur Körper, auch Einblicke in die Schlafzimmer der Creators werden geteilt. Viele verwenden zudem die Chatfunktion der Seite, um in Kontakt zu treten. Marius erzählt, einige würden sich nur gern mit ihm austauschen. Andere teilten ihre ganz persönlichen Wünsche. Für ein ‚Trinkgeld’ von 50 bis 250 US-Dollar erfüllt er sie, vorausgesetzt er hat auch Lust darauf. Etwa die Hälfte seines Contents entstehe so. Für die andere Hälfte greife er hingegen auf seine eigenen Fantasien und Vorlieben zurück.

Marius weiß: Abonniert wird „für ein privateres Feeling”. Online-Pornografie gibt es schließlich schon zuhauf – und das meistens kostenlos. Damit sich die Arbeit finanziell lohnt, brauchen Creators eine hohe Reichweite und treue Abonnent*innen. Diese Arbeitsbedingungen erinnern stark an das Schicksal anderer sogenannter ​​Solo-Selbstständiger in Zeiten des Plattformkapitalismus. In sozialen Medien wie Instagram und Co. verschwimmen Privatleben und Arbeitsplatz. So auch bei OnlyFans. Gerade Sexarbeitende setzen sich hier tagtäglich mit Hassnachrichten auseinander. Auch Marius erzählt, er habe sich schon Morddrohungen stellen müssen. Seine Liste an blockierten Profilen werde stetig länger: „Mittlerweile stehe ich da ganz gut drüber. Aber jede*r, der*die sagt, ihm*ihr gehe das nicht nahe, lügt.”

Die Produktion von Content allein sichert jedoch nicht unbedingt ein stetiges Einkommen. Denn ganz so exklusiv wie beworben sind die Bilder auf OnlyFans oft doch nicht. Neben ausführlichen Threads mit geleakten Bildern auf dem sozialen Netzwerk reddit gibt es mittlerweile sogar eigens für die Leaks erstellte Websites. Auf diesen teilen User*innen fleißig Material – manchmal werden Bilder auch weiterverkauft. Viele Creators würden dagegen vorgehen, erzählt Marius. Doch das bedeute zusätzliche Arbeit – und die sei meist nur mit Management zu bewältigen. Sein Einkommen neben der Plattform noch mit einer*m Manager*in teilen? Das kommt für ihn nicht infrage. „Das wären dann noch mal 20 bis 30 Prozent, die von meinem Einkommen abgehen. Die geleakten Bilder sind im Endeffekt Werbung für mich.”

Marius kommt auf der Plattform sehr gut an – schon als er kurz nach seinem 18. Geburtstag die ersten Bilder hochlud, konnte er von der Arbeit leben. „Das hat mir den Ansporn gegeben weiterzumachen.” Ihm habe seine Arbeit auch mehr Selbstbewusstsein in Bezug auf seinen Körper gegeben: „Ich habe nicht den trainiertesten Körper der Welt und denke: Ausstrahlung zählt viel mehr!” Er weiß aber auch: „Je besser man aussieht, desto mehr Geld verdient man.”

So finden sich zwar alle Körperformen und -expressionen auf der Plattform. Das große Geld aber fließt in Kanäle, die die gängige Norm von Pornhub und Co. nicht aufbrechen. Der durchschnittliche Verdienst auf OnlyFans liegt nur bei etwa 150 US-Dollar monatlich. So kann alternativen, selbstbestimmten und diversen Darstellungen von Sexualität durch OnlyFans zwar Raum gegeben werden, aber von der Arbeit leben können nur wenige. Eine tatsächliche Revolution bleibt damit aus.


Wir haben uns dazu entschieden in unserem Heft Begrifflichkeiten zu verwenden, die möglichst antidiskriminierend sind. Falls dir ein Begriff oder eine Schreibweise nicht bekannt sein sollte, kannst du die Bedeutung hier nachlesen.

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