Das ist alles nur in deinem Kopf

Mit seinem Musicalfilm Kopfkino spricht Peter Lund eine Generation auf der Suche nach ihrer Identität an. Diese Suche schickt den Protagonisten Lennard nach Berlin. Eine Rezension von Insa Birkenhagen.

Lennard ist nie alleine – zumindest nicht in seinem Kopf. Bildquelle: Matthias Heyde via udk-berlin.de

Jedes Jahr bereichern Absolvent*innen der Universität der Künste (UdK) die Berliner Filmszene mit ihren eigenen Produktionen. Gemeinsam mit dem Wolf Kino gehört seit 2006 auch eine Premiere dazu. Mit Popcorn, rotem Teppich und allem Drum und Dran – eigentlich. Denn nachdem der Absolvent*innenfilm Kopfkino von 2018 eine recht erfolgreiche Festivaltour hinter sich gebracht hatte, war es Anfang 2020 Zeit für seine Premiere. Doch die fand aufgrund der Pandemie niemals statt. Stattdessen wurde sie, wie so vieles, nach Hause auf den Bildschirm verlegt. Bis Mitte Dezember ist der Film nun auf der Website der UdK zu sehen.

Darum geht es

Nach dem Bruch mit seinen Eltern macht sich Lennard mit leichtem Gepäck und ohne konkreten Plan auf den Weg in die Hauptstadt. Er ist dabei jedoch nicht alleine, denn Boris, Helena, Sophia, Theo, Tess und Jürgen sind immer dabei. Diese Charaktere sind die Stimmen in seinem Kopf. Dort gehen sie die meiste Zeit ihrer bevorzugten Beschäftigung, dem Streiten, nach und machen es Lennard damit nahezu unmöglich, Entscheidungen zu treffen. Ben und Fine, seine neuen Mitbewohner*innen in der Berliner WG, scheinen hingegen bereits ihren Platz gefunden zu haben. Lennard wiederum fängt gerade erst an, sich die großen Fragen des Lebens zu stellen.

Als Musicalfilm wird das erzählerische Kino durch eine Vielzahl an musikalische Einlagen ergänzt. Die eigens für den Film produzierten Lieder agieren einerseits erzählerisch, andererseits wird in ihnen all das konserviert, was innerhalb der Dialoge ungesagt bleibt, emotionale Prozesse finden hier ihren Ausdruck. Besonders die personifizierten Stimmen als Sinnbild der inneren Konflikte Lennards finden in diesen Einlagen Raum, sich und ihre Beziehungen untereinander zu entfalten. 

Die musikalischen Aspekte werden gekonnt eingesetzt, um das Kopfkino der Figuren stilistisch von der tatsächlichen Handlung abzuheben. So gewinnt der Film in diesen Momenten an aufregender Dynamik. Die Kameraführung orientiert sich an den Bewegungen der Darsteller*innen, die mit großzügigen Choreographien die Bildfläche organisch füllen. 

Konflikte wohin das Auge reicht

Der Reichtum der musikalischen Intermezzi scheint jedoch etwas auf Kosten der Handlungs-, und Szenenkonzeption gegangen zu sein. Denn in seinem Narrativ ist der Film ein regelrechtes Chaos an Konflikten. Jeder Dialog, jede Interaktion birgt ein neues Streitgespräch, in dem ein weiteres der vielen kleinen Geheimnisse gelüftet wird. Sequenzen, die dem Publikum Zeit geben würden, das zu verdauen, was sie gerade erfahren haben, finden beinahe keinen Platz.

Auch fehlt es teilweise an einer detaillierten Ausarbeitung der einzelnen Konflikte. So spielen die psychischen Probleme Lennards zwar  – buchstäblich – eine zentrale Rolle, indem ihnen durch die ganzen Charaktere Leben eingehaucht werden. Der Umgang mit diesen Konflikten wirft jedoch einige Fragen auf. Denn Lennard setzt sich weniger mit ihnen auseinander, viel eher verdrängt und betäubt er sie. So sollen Drogenkonsum und emotionale Ausbrüche Abhilfe leisten. Abgesehen davon, dass sich Lennard gegenüber seiner Schwester outet, unternimmt er wenig, um sich proaktiv mit seinem Kummer auseinanderzusetzen. Der Rest seiner Probleme scheint sich in Luft aufzulösen. Das Publikum, das ihm am liebsten Therapieplatz-Empfehlungen zurufen würde, kann hierüber nur staunen.

Berlin, wie es im Buche steht

Neben der Erzählung wirkt aber auch Setting des Films verhältnismäßig eindimensional. So bewegt sich Lennard durch ein Berlin, dass sich vor allem über seine Klischees definiert. Vom Bahnhof Zoo geht es über das Brandenburger Tor bis hin zum Kottbusser Tor. Es wird mit überteuerten Mieten und der obligatorischen Aversion gegen Schwaben um sich geworfen; die linke Szene wird auf stumpfe Anti-Haltung und willkürliche Sachbeschädigung reduziert. Teilweise agieren diese Stereotype sogar handlungsmotivierend: So wird ein Auto allein deshalb demoliert, weil es ein Stuttgarter Kennzeichen trägt. Behält man bei aller berechtigter Kritik jedoch im Hinterkopf, dass es sich bei Kopfkino um einen studentisch produzierten Film handelt, kann man gelegentlich ein oder manchmal auch beide Auge zudrücken. Insbesondere, da es Absolvent*innen des Studiengangs Musical und Show waren, die dieses ihnen eher fachfremde Projekt auf die Beine gestellt haben. Alles in Allem also: Hut ab!

Autor*in

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.