Bones and All: Who are we to judge?

Bones and All zeigt die jungen Kannibal*innen Maren und Lee auf einem blutigen Roadtrip durch den Mittleren Westen der USA. In einer bizarren Mischung aus Splatterfilm und Coming-of-Age Romanze erzählt Regisseur Luca Guadagnino vom Dilemma derer, die nach einem Platz in einer Welt suchen, in der es keinen für sie gibt. Eine Rezension von Anja Keinath.

Maren (Taylor Russell) und Lee (Timothée Chalamet) sind allein in einer Welt, die sie verlassen hat. Foto: Metro-Goldwyn-Mayer Studios

„Je mehr wir über einen Menschen wissen, desto schwerer fällt es, ihn zu verdammen“, hat Ferdinand von Schirach einmal geschrieben. Und kein Zitat könnte besser zu Guadagninos neuem Film passen. Denn egal wie bizarr, brutal und abstoßend die beiden Kannibal*innen Maren und Lee, gespielt von Taylor Russell und Timothée Chalamet, auch scheinen: Es ist unmöglich, die beiden zu verurteilen.

Die Story

Als Maren von einer Mitschülerin zu einer Übernachtungsparty eingeladen wird, ahnt sie bereits, dass ihr Vater es verbieten wird. Denn wie befürchtet stürzt sie sich dort auf ihre neue Freundin und beißt ihr auf brutale Art und Weise den Finger ab. Schockiert von ihrer eigenen Tat hetzt Maren zurück nach Hause und steht blutüberströmt vor ihrem Vater. Die beiden packen ihre Sachen und brechen mitten in der Nacht auf in eine neue Stadt.

Kurze Zeit später, an ihrem 18. Geburtstag, wird Maren von ihrem Vater verlassen. Er hinterlässt ihr eine Kassette, auf der er ihr die Gründe für seine Entscheidung erklärt. All die Jahre habe er versucht, sie zu beschützen, doch er könne dieses Leben so nicht mehr weiterführen: die ständige Flucht, die Angst, aufzufliegen, die Isolation und Einsamkeit. Daraufhin beschließt Maren ihre unbekannte Mutter ausfindig zu machen.

Unterwegs lernt sie den Kannibalen Lee kennen, der sich ihrer Suche anschließt. Damit beginnt ein blutiger Road-Trip, auf dem die beiden den ein oder anderen Menschen wie wilde Tiere auffressen. Zwischen diesen verstörenden Szenen beginnt die Liebesgeschichte zwischen Lee und Maren: Sie sind allein in einer Welt, die sie verlassen hat.

„The world of love wants no monsters in it”

In einer geschlossenen, psychiatrischen Anstalt findet Maren schließlich ihre Mutter wieder – allerdings in einem verstörenden Zustand. Damit zeigt Bones and All auch, wie brutal das Gesundheitssystem der 1980er Jahre mit psychisch kranken Menschen umgeht, indem es sie wegsperrt und hinter verschlossenen Türen selbst überlässt. Maren flieht mit einem Brief aus der Einrichtung, den ihre Mutter bereits vor langer Zeit verfasst hat. Darin schreibt sie, dass auch sie eine Kannibalin sei und weshalb sie sich vor vielen Jahren selbst eingewiesen habe: „The world of love wants no monsters in it”.

Verstört von den Ereignissen beginnt ein Streit zwischen Maren und Lee. Während Lee Frieden mit seinem Kannibalismus gefunden hat, macht sich Maren Vorwürfe: Sie hasst sich dafür, eine Kannibalin zu sein und in der ständigen Angst zu leben, andere zu töten. Bones and All zeigt den Menschen zwischen der Sehnsucht, geliebt zu werden und seiner selbst auferlegten Einsamkeit, in die er sich aus Selbsthass und Angst vor Verurteilung begibt.

Angst, Verzweiflung, Überforderung 

Guadagnino verdeutlicht die Unmöglichkeit, Menschen für ihre Entscheidungen, ihr Verhalten und das, was sie sind, zu verurteilen. Genau wie bei Maren und Lee fällt es dem*der Zuschauer*in auch bei Marens Vater schwer, über die Entscheidung, seine Tochter zu verlassen, ein Urteil zu fällen. Hier zeigt der Film auch, wie schwierig es ist, Menschen zu lieben, denen man selbst nicht helfen kann und ständig Gefahr laufen, vom System bestraft und weggesperrt zu werden. Er zeigt auch ihre Überforderung und Verzweiflung.

Je mehr man über den inneren Zwiespalt der beiden Kannibal*innen erfährt, desto schwieriger ist es, sie einfach als böse zu verurteilen. Wie so oft im Leben kommt man* auch hier zu keinem eindeutigen Schluss. Die Menschen und die Welt, in der sie leben, sind viel komplexer als das. Neben seiner bizarren Mischung aus Liebesgeschichte und blutigem Horror zeigt Bones and All letztlich den Menschen in all seiner Komplexität und fragt: Who are we to judge?

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