Wenn die Krise den Geldbeutel frisst

Gerade Studierende trifft das aktuelle Rekordniveau der Energie-, Wohnungs- und Lebensmittelkosten. Rund die Hälfte ist armutsgefährdet und gibt an, psychisch belastet zu sein. Leonard Wunderlich versucht, das Dickicht der Krisen zu lichten.

Die gegenwärtigen Krisen stellen viele Studierende vor schier unlösbare Aufgaben. Foto: Unsplash.

Die Verzweiflung der einen trifft auf die Wut der anderen. Das Unverständnis für die Krisenpolitik des Berliner Senats und der Bundesregierung findet seinen Ausdruck in Bannern, Fahnen und unmissverständlichen Forderungen. Ein Demozug formiert sich im vergangenen November zwischen Alexanderplatz und Gneisenaustraße. Unter dem Motto „Umverteilen!“ haben zahlreiche Initiativen zum Protest aufgerufen. Sie wollen für die Nöte und Sorgen derjenigen einstehen, die unter der gegenwärtigen Preisexplosion besonders stark leiden und entsprechenden Ausgleich von der Politik fordern: Dazu gehören auch Studierende. 

Die derzeitige Preiskrise reiht sich ein in eine Folge von Ausnahmezuständen, die auch Studierende besonders stark belasten. Die Pandemie verbannte sie in ihre Zimmer und hinter den heimischen Schreibtisch. Viele verloren ihre Jobs. Die anhaltende Wohnungskrise stellt die Finanzierbarkeit jener Zimmer immer wieder in Frage. Sie begünstigt zweifelhafte Mietangebote oder haarsträubende Wohnverhältnisse. BAföG-Reformen bleiben aus. Studierende profitieren nur wenig von den Entlastungspaketen der Bundesregierung. Die angekündigte Energiepreispauschale als Soforthilfe für Studierende und Fachschüler*innen verspätete sich trotzdem um Monate. Unter diesen Umständen wirkt die Inflation umso gravierender. 

Widerstand aus der Not heraus

In der Studierendenschaft regt sich derweil und deshalb Unmut: Die ursprünglich aus Großbritannien stammende Initiative Genug ist Genug! greift auf die Berliner Universitäten über. Ihre studentischen Gruppen versuchen, mobilisierendes Momentum zu gewinnen. „Wir sehen die Uni als Ort des politischen Kampfes und haben den Anspruch, für die Studierenden eine politische Plattform des Austausches zu schaffen“, erklärt Rufus, Mitglied der Hochschul-Vernetzungsgruppe. Ihre bundesweiten Forderungen: 1.000 Euro Wintergeld, eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets. Zudem Lohnerhöhungen, Preisdeckel für Strom und Gas. Und eine höhere Besteuerung von Konzernen, deren Gewinne in der Krise stiegen, schließlich deren vollständige Vergesellschaftung. „Wir als Hochschulgruppe wollen diese Forderungen noch um die Themen BAföG, Wohnungskrise und Klimagerechtigkeit ergänzen“, unterstreicht Rufus.

Die neuesten Umfragen unter Studierenden fördern unterdessen bestürzende Befunde zu Tage: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2021 deutschlandweit 76,1% der Studierenden, die allein oder ausschließlich mit anderen Studierenden zusammenwohnten, armutsgefährdet. In den folgenden Monaten der galoppierenden Preissteigerungen dürfte sich die finanzielle Lage vieler noch erheblich verschlimmert haben. 

…durch Solidarität auf dem Campus

Die universitäre Leitung scheint derweil an mancher Stelle bemüht zu sein, die Belastungen zu mindern. Erst kürzlich eingerichtete support points bieten unverbindliche psychologische Sprechstunden. Sie sollen niedrigschwellig Hilfe und Beratung bei mentalen Krisen leisten. Finanzielle Hilfe für notleidende Studierende gibt es von der Universität nicht. In der Verantwortung dafür stünde die Landesregierung. Und so kratzt die Hilfe nur an der Oberfläche des Problems – sie kann gar nicht erst zu dessen Kern durchdringen und wirksam werden. Denn so wichtig psychologische Beratung auch ist, bearbeitet sie nur die Symptome, nicht aber die Ursachen der krisenhaften Lage.

Wie also können Studierende eine Antwort auf die scheinbar niemals endenden Krisen finden, die so viele an ihre Schmerzgrenze treibt? Vielleicht verspricht die Einsicht, nicht allein zu sein, erste Erleichterung – die Einsicht, sich nicht in einer individuellen, sondern einer kollektiven Krisenlage zu befinden. Denn wenn aufgrund steigender Preise das Geld knapp oder schon längst ausgegeben ist, nimmt einem die gleiche Not der anderen die Bürde der persönlichen Verantwortlichkeit. Kann man sich davon etwas kaufen? Gewiss nicht. Vielleicht aber bleibt in einer Lage bröselnder Gewissheiten, bröckelnder Sicherheit und schwindender Zuversicht nur die Solidarität mit allen, denen es nicht anders ergeht.


Dieser Text erschien erstmals in einer FURIOSkompakt­-Ausgabe Anfang des Jahres. So entstand er vor dem Hintergrund der akuten Energiepreiskrise. Er erscheint nun erneut online, da Inflation und die Wohnungskrise auch weiterhin starke Belastungen für große Teile der Studierendenschaft bedeuten. Einige Details des Textes wurden aktualisiert. (Anm. d. Red.)

Autor*in

Leonard Wunderlich

Hat den leisen Verdacht, dass Hochschulpolitik doch irgendwo nicht völlig unwichtig ist.

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