„Auf einer Eisscholle allein” 

Im Studierendenparlament geht es mitunter heiß her. Da gilt es, über tiefe Gräben Brücken zu schlagen – oder eben nicht. Leicht entsteht der Eindruck, dass die ideologischen Grabenkämpfe hochschulpolitische Themen unter sich begraben. Im Streitgespräch berichten drei Parlamentarier*innen von Debatten und Allianzen, Emotionen und politischem Kalkül. Die Fragen stellte Leonard Wunderlich.

Im StuPa drohen die Grabenkämpfe zu überwiegen, während konkrete Themen zurückstehen. Illustration: Lena Stein.

FURIOS: Das Studierendenparlament (StuPa) ist ein wichtiges Gremium der studentischen Selbstverwaltung. Ohne Umschweife zum Thema: Wie werden im StuPa Themen verhandelt?

Andrés Garcés (Klasse gegen Klasse): Mein Eindruck ist tatsächlich, dass nur vereinzelt politische Diskussionen stattfinden. Die Tagesordnung wird schnell durchgeboxt. Eine tiefere politische Debatte über die Anträge fehlt häufig.

Sophia Marie Pott (Campusgrün): Da stimme ich im Groben zu. Häufig spielen sich Auseinandersetzungen nur zwischen der AStA-Koalition – also den Gruppen, die nicht parteipolitisch orientiert und eher links sind – und allen anderen Hochschulgruppen ab. Wir Grünen werden häufig ein wenig an den Rand gestellt, weil wir eine parteipolitische Zugehörigkeit haben. Das ist anstrengend und ziemlich unnötig, weil wir ähnliche Ziele haben und gerne zusammenarbeiten würden.

Finja Schürmann (Ring Christlich Demokratischer Studenten): Ja, das teile ich tatsächlich. Oft steht die Ideologie im Vordergrund und pragmatische Hochschulpolitik kommt zu kurz. Das liegt an der Voreingenommenheit vieler, die sich gerade uns gegenüber sehr toxisch verhalten.

FURIOS: Nach euren Berichten scheint sich das StuPa häufig in tiefen Grabenkämpfen zu verlieren. Ist das so?

Sophia (CG): Wir müssen uns oft rechtfertigen: Die Grünen oder gar die gesamte Bundesregierung haben irgendetwas beschlossen, für das wir dann verantwortlich gemacht werden. Kritik an den Grünen wird von der Bundesebene ins StuPa verlegt, und wir werden abgeschrieben. Dagegen würde ich mir wünschen, dass wir stärker in der Sache diskutieren und auch über Gruppen oder Koalitionen hinweg Allianzen bilden. 

Andrés Garcés (28) studiert Politikwissenschaft. Seit vielen Jahren engagiert er sich bei der revolutionär-sozialistischen Gruppe Klasse gegen Klasse – mit Aktionen, Kampagnen und hochschulpolitisch – sowie gewerkschaftlich. Die Uni erkennt er als einen möglichen Ort der Subversion, um auch einen gesamtgesellschaftlichen antikapitalistischen Wandel anzustoßen.
Foto: Andrés Garcés.

Andrés (KgK): Da widerspreche ich. Wir kritisieren die Leute nicht, weil sie einer Partei nahestehen. Es geht darum, was diese Parteien politisch veranstalten – das gilt ebenso für Grüne wie für die CDU. Ich denke auch nicht, dass wir uns nur in Ideologie verrennen. Ideologie kann man nicht von praktischer Politik trennen. Denn es geht darum, mit welchen Motiven vor allem Konservative handeln und welche Agenda sie verfolgen.

FURIOS: Wenn wir schon bei den Konservativen sind: Der RCDS steht eigentlich immer isoliert da und ist häufig heftigen Angriffen ausgesetzt. Finja, fühlt ihr euch zu hart behandelt?

Finja (RCDS): Uns wird häufig unglaublich voreingenommen und feindselig begegnet. Es fühlt sich manchmal wirklich so an, als würden wir zur AfD des StuPa hochstilisiert. Das macht es unglaublich schwer, konstruktiv zu arbeiten. Jeder unserer Anträge, den wir ins Parlament einbringen, wird sofort zerschlagen.

Andrés (KgK): Zurecht! Es geht um einen politischen Kampf zwischen emanzipatorischen, fortschrittlichen, linken und konservativen, rechtsoffenen Positionen. Manchmal muss man grundsätzlicher werden: Grabenkämpfe sind wichtig, wenn es darum geht, reaktionären Ideologien an der Uni keinen Raum zu geben.

Finja (RCDS): Mich stört – und das wird auch an dieser Stelle wieder sehr deutlich –, dass wir selten konkret kritisiert werden. Ich erlebe eine sehr große Ablehnung, vielleicht sogar schon Feindschaft. Aber welche konkreten Kritikpunkte habt ihr? Seit ich zur RCDS-Vorsitzenden gewählt wurde, versuche ich, zu anderen Gruppen Kontakt aufzunehmen und mich für gemeinsame Initiativen zu vernetzen. Aber ich stelle fest: Wir treiben wie auf einer Eisscholle einsam dahin. Von quasi allen habe ich keine Antwort bekommen oder aber Ablehnung erfahren mit den Worten: Wir reden nicht mit euch.

Andrés (KgK): Aber Fakt ist doch, dass es zwischen euch und eurer Mutterpartei CDU, auch wenn ihr formal unabhängig seid, viele personelle Verstrickungen gibt. Mit einer Partei also, die transfeindlich, antifeministisch und rassistisch ist.

FURIOS: Macht dich das wütend, Finja?

Finja Schürmann (20) studiert Politikwissenschaften. Politisch engagiert sie sich als Vorsitzende des Ring Christlich-Demokratischer Studenten an der FU sowie als Mitglied der Jugendorganisation von CDU/CSU, der Jungen Union. Für sie sind Willens- und Innovationskraft zentrale Elemente gelungener, zukunftsfähiger Bildungspolitik. Foto: Finja Schürmann.

Finja (RCDS): Wütend, frustriert, ja. Im StuPa-Wahlkampf wurden unsere Plakate teils mit dem Wort ›Nazi‹ beschmiert. Wir sind immer in der Position, uns rechtfertigen zu müssen, beweisen zu müssen, dass wir eben konservativ sind – und nicht rechtsextrem. Wir sind eine genauso legitime, demokratische Hochschulgruppe, die sich für die eigenen Interessen einsetzt, wie ihr es seid. Wir alle haben das Ziel, das Studentenleben nach jeweils eigenen Vorstellungen zu verbessern. Für uns ist das aber ein großer Kampf.

FURIOS: Bleiben wir bei Grabenkämpfen, werden wir aber wieder etwas konkreter:

Als der RCDS vergangene Sitzung einen Antrag für die kostenlose Bereitstellung von Hygieneartikeln einbrachte, ließen ihn alle anderen Gruppen geschlossen scheitern. Sophia, verratet ihr nicht eure eigene Position, indem ihr in Grabenkämpfen gefangen bleibt? 

Sophia (CG): Der AStA arbeitet bereits an der Bereitstellung, der Antrag hätte also keine Verbesserung gebracht. Und es hat ein Geschmäckle, wenn der RCDS in der ersten Sitzung nach der Wahl so einen Eintrag einbringt, ohne sich vorher zu informieren. Dann versucht dieser, das StuPa für sich zu vereinnahmen und mit den Nöten von Studierenden Politik zu machen.

Finja (RCDS): Naja, ich kann mir die Ablehnung nur dadurch erklären, dass die linken Gruppen durch ideologische Verklemmtheit eine möglichst große Distanz halten möchten, auch wenn die Studierenden darunter leiden.

FURIOS: Das könnte doch in der Tat so aufgefasst werden. In jedem Fall sind die Studierenden die Leidtragenden, oder nicht? 

Sophia (CG): Das Vorhaben ist bereits in Umsetzung. Und der Antrag war einfach schlecht gemacht und nicht durchdacht. Schließlich wurde der Antrag zur Bereitstellung von Hygieneartikeln erst dann auf Herrentoiletten ausgeweitet, nachdem andere Gruppen auf den Bedarf von Transmännern hingewiesen hatten. 

FURIOS: Ein Blick zur anderen Seite des politischen Spektrums: Auch Klasse gegen Klasse steht nicht selten isoliert da – von anderen linken Gruppen wird euch Antisemitismus vorgeworfen. Wie reagierst du darauf, Andrés?

Sophia (CG): Wir teilen diesen Vorwurf übrigens.

Andrés (KgK): Ich weise das entschieden zurück! Wir sind weder eine antisemitische Organisation noch vertreten wir antisemitische Positionen. Wir sind solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf gegen die israelische Besatzung. Das wird in Deutschland oft als Antisemitismus abgestempelt.

Sophia (CG): Auf eurer Webseite fordert ihr, den israelischen Staat zu zerstören. Es geht also nicht darum, dass man die israelische Politik nicht kritisieren darf, sondern dass ihr den Staat Israel ablehnt. Das ist antisemitisch.

Andrés (KgK): Das stimmt nicht. Die Antisemitismusdefinition, die du verwendest, kommt von einem rechten israelischen Politiker, Natan Scharansky, der unter anderem mit George W. Bush zusammen am imperialistischen Projekt Israel gearbeitet hat. Wir folgen anstelle seiner 3-D-Definition stattdessen der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die von linken und kritischen israelischen Forscher*innen, und überhaupt von den meisten, seit einigen Jahren angewendet wird. Sie differenziert strikt zwischen Antizionismus und Antisemitismus. Wir kritisieren das zionistische Projekt, den Staat Israel in seiner realen Form, nicht die Zivilbevölkerung, die Menschen jüdischen Glaubens.

Sophia Marie Pott (19) studiert Psychologie. Sie ist Teil des Koordinationsteams der Hochschulgruppe Campusgrün und darüber hinaus seit einigen Jahren bei Bündnis 90/Die Grünen sowie bei der Grünen Jugend, dort als Landessprecherin Schleswig-Holstein, aktiv. Hochschulpolitisch versucht sie, über die Uni sowohl einen größeren gesellschaftlichen Wandel anzustoßen als auch diese konkret zu gestalten.
Foto: Sophia Marie Pott.

Sophia (CG): Ihr delegitimiert und dämonisiert den jüdischen Staat, den Juden und Jüdinnen  aber nach einer Vielzahl von historischen Verfolgungen brauchen. Wenn man den israelischen Staat zerstört, nimmt man ihnen diesen Schutzraum. Dass das antisemitisch ist, ist eigentlich common sense.

Andrés (KgK): Der israelische Staat basiert auf einem Apartheidsregime und auf der Vertreibung hunderttausender Palästinenser*innen. Wir sind der Auffassung, dass die einzige Möglichkeit für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Jüdinnen, Palästinenser*innen und allen anderen ethnischen Gruppen in einem einheitlichen, laizistischen und sozialistischen Staat besteht. 

FURIOS: Okay, ich fürchte, wir werden diesen Konflikt heute nicht lösen. Aber, wie kann ich deinen Gesichtsausdruck deuten, Finja – irgendetwas zwischen Verwirrung und Belustigung?

Finja (RCDS): Beides. Weil ich denke, wir sind bei solchen Konflikten sehr, sehr weit weg von den hochschulpolitischen Themen. Und zweifelsohne sind auch die anderen Themen wichtig, aber ich frage mich, ob das StuPa der richtige Rahmen für solche Auseinandersetzungen ist. Oder ob nicht die Arbeit für eine bessere Hochschule hinten runterfällt.

FURIOS: Womit wir wieder über Grabenkämpfe sprechen und zum Anfang dieses Gesprächs zurückkehren. Vielleicht ist genau das der Punkt: Reicht in die hochschulpolitische Diskussion auch immer eine darüber liegende Ebene von tiefgreifenden ideologischen Konflikten hinein?

Sophia (CG): Ja. Ich glaube, beide Ebenen schließen sich nicht aus. Wir können im StuPa sowohl das Leben aller Menschen als auch das Leben der Studierenden konkret verbessern wollen. Ich finde es auch wichtig, große Diskussionen zu führen. Denn schließlich geht es bei Hochschulpolitik auch um eine allgemeine Politisierung der Studierendenschaft.

FURIOS: Aber manchmal schließt sich das doch aus. Etwa wenn ihr einen Antrag von Klasse gegen Klasse ablehnt, obwohl ihr das Anliegen inhaltlich teilt. So vor einigen Wochen geschehen, als KgK eine Solidarisierung mit streikenden Studierenden forderte.

Sophia (CG): Ja, dabei geht es für uns aber auch um eine konkrete klare Position, nicht nur um übergeordnete ideologische Fragen: Wir wollen nicht mit Antisemit*innen gemeinsame Sache machen. Natürlich geht es darum, das Leben der Studierenden zu verbessern. Aber wenn man allein auf das konkrete Anliegen schaut und die Positionierung der Gruppe, von der es kommt, nicht beachtet, läuft man Gefahr, für einen kleinen Fortschritt seine eigenen Werte zu verkaufen.

Finja (RCDS): Wir sehen unsere Aufgabe darin, klar für hochschulpolitische Themen zu kämpfen und nicht – wie oft von uns verlangt wird – uns zur Unionspolitik zu positionieren. Dafür haben wir klare Ziele in unserem letzten Wahlprogramm formuliert: längere Öffnungszeiten der Bibliotheken, ein besseres Mensaangebot, längere U-Bahnen und so weiter. Das sind pragmatische Forderungen für einen besseren Studierendenalltag.

Sophia (CG): Und da sind wir auch völlig beieinander! 

FURIOS: Dann freue ich mich an dieser Stelle schon mal auf künftige gemeinsame Anträge von RCDS und GHG.

Finja (RCDS): Ich finde es doch immer wieder erschreckend, wie wenig Anträge ins StuPa eingebracht werden. Das müssen wir ändern – mal wieder mehr praktisch anpacken, um unsere Wahlversprechen auch umzusetzen. Das funktioniert nur, wenn wir inhaltlich diskutieren und von der Ebene der Ideologie und Parteipolitik, von Symbolpolitik und gegenseitigen Anfeindungen wegkommen.

Andrés (KgK): Ich glaube, man kann tatsächlich unterscheiden zwischen Hochschulpolitik und Politik auf einer höheren Ebene. Und ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, tatsächlich mehr über Hochschulpolitik zu reden. Unser Ziel als eine sozialistische Gruppe ist allerdings offensichtlich, für eine andere Gesellschaft zu kämpfen. Dementsprechend geht es uns auch um die großen politischen Fragen: wie unsere Welt gestaltet, Wohlstand verteilt ist und wie die Wirtschaft arbeitet. Die Uni ist für uns der Ort, an dem wir Politik machen.

Autor*in

Leonard Wunderlich

Hat den leisen Verdacht, dass Hochschulpolitik doch irgendwo nicht völlig unwichtig ist.

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