Zwischen Hype und Hass

„Geh mal sterben!” war einer der ersten Hasskommentare, die FU-Studentin Rebekka auf Social Media bekam. Ihre Accounts sind zwar verhältnismäßig klein, vor Hass im Netz bleibt sie dennoch nicht verschont. Bei Rhabarberkuchen und E-Zigarette schildert sie ihre Erfahrungen gegenüber Anna-Lena Schmierer.

Illlustration: Noa Kreutz

Mit lässigen Hip-Hop Moves bewegt sich eine junge Frau zu einem Rapsong. Schwarze baggy Hose, bauchfreies Top, goldene Kette mit Kreuzanhänger. Im Hintergrund des Zimmers sind eine glänzend weiße Schranktür und darüber eine neonblaue Lichterkette zu erkennen. In den Kommentaren unter dem Video: Flammen- und Herzemojis. Jemand schreibt: „Du siehst so gut aus”. Eine andere Person dagegen: „Lass das lieber mit TikTok, das wird nichts!”

Rebekka ist Studentin an der FU. In ihrer Freizeit ist die 19-Jährige zudem hobbymäßig Content Creatorin auf Instagram und TikTok. Ihre knapp 2000 Follower*innen kennen sie als @beggiindahood. Die Inhalte reichen von Outfit-Posts über Tanz- und Lipsyncvideos bis zu Fotos aus dem Gym. Außerdem macht sie Stories von ihrem Alltag als Studentin, ab und zu auch über politische Themen wie beispielsweise die Debatte über die Berliner Silvesternacht 2023. Sogar einen Song hat sie schon geschrieben – Hype, der zweite sei in Arbeit, verrät sie.

Rebekka sitzt entspannt auf ihrem Bett und vaped – Geschmacksrichtung Paradise Peach. Ihre Mutter hat uns einen Teller Rhabarberkuchen mit Sahne in die Hand gedrückt, der jetzt auf der Bettdecke thront. Auf dem Boden sind Papierstapel verteilt. Wer regelmäßig Rebekkas Stories auf Instagram verfolgt, weiß: Sie sind eng beschrieben mit Notizen zur kürzlich eingereichten Hausarbeit in Theaterwissenschaft. Während die LED-Beleuchtung das Zimmer abwechselnd in rotes, blaues und lila Licht taucht, erzählt Rebekka von ihren Erfahrungen als Content Creatorin. Genauer: Von den Hasskommentaren, die sie bekommt.

Angefangen hatte alles mit einem kurzen Youtube-Video. „Ich war damals 15 und totaler Capital Bra-Fan. Ich habe eine Fanbox bestellt und voller Freude ein Unboxing-Video gemacht”, erzählt Rebekka und lächelt über ihr jüngeres Ich. Als sie weiterspricht, wird sie ernst: „Jemand hat darunter kommentiert: ›Du kleine Fotze‹. Das hat mich sehr getroffen. Ich hatte mir viel Mühe mit dem Video gemacht – und es ist auch einfach ekelhaft, so einen Kommentar zu schreiben. Ein anderer lautete: ›Geh mal sterben‹”.

Auch unter weiteren ihrer Postings finden sich vereinzelt solche Kommentare. Rebekka erklärt, besonders stark sei der Hass auf TikTok. „Eines meiner Videos hatte plötzlich um die 20.000 Aufrufe, was im Vergleich zu den Views, die ich normalerweise bekomme, echt viel ist. Erst habe ich mich gefreut, aber dann habe ich die Kommentare darunter gesehen: Die meisten waren sehr abwertend, teilweise richtig hasserfüllt. Die Leute haben sich jedes kleinste Detail herausgepickt und sich darüber lustig gemacht. Das waren Kommentare wie: ›Ich schäme mich Berlinerin, wie sie, zu sein‹, oder ›Sie trägt Jordans, ich schäme mich.‹ Allzu ernst habe ich das nicht genommen, aber die Menge war krass.”

Rebekka erzählt das alles sehr nüchtern, fast, als würde ihr der Hass nichts ausmachen. Dabei schrieben ihr manchmal Leute per Direktnachricht, nur um sie zu provozieren und zu beleidigen. Sie erklärt, sie habe sich schon früh ein Schutzschild aufgebaut: „Ich bin ziemlich abgehärtet, was Hass angeht. Ich wurde in meiner Schulzeit gemobbt, weil ich etwas kräftiger war und mich für ›Jungssachen‹ interessiert habe.” Sie räumt ein: „Klar, wenn eine Person, die mir nahe steht, mir so etwas ins Gesicht sagen würde, würde ich in Tränen ausbrechen.” Bei fremden Leuten im Internet, die sich teilweise ohne Profilbild und Namen hinter ihrer Anonymität versteckten, sei es einfacher, sich Hasskommentare nicht zu Herzen zu nehmen. Grinsend schildert sie: „Manchmal gehe ich auf die Profile von Hatern und teilweise sind das einfach 12-jährige Jungs, die Fortnite-Videos hochladen.” 

Die meisten Hasskommentare ignoriere sie, lösche sie jedoch nicht, um ihren Follower*innen zu zeigen, dass sie nicht nur Lob und Komplimente bekomme. Sie stehe dazu und wolle „ein realistisches Bild vermitteln.” Sie erklärt, sie freue sich über konstruktives Feedback, „wenn jemand beispielsweise schreibt: ›Hey, diesen Move könntest du noch besser machen‹ und Tipps gibt.” Kritik könne sehr bereichernd sein. Bei Drohungen, wie „Du bist scheiße, stirb!”, sei die Grenze jedoch überschritten. 

Empört nimmt sie einen erneuten Zug von ihrer Vape: „Auch wenn die Drohung nicht ernst gemeint sein mag: Es ist einfach nicht in Ordnung, Leuten so etwas zu schreiben!” Sie könne nicht nachvollziehen, warum Leute so viel Hass verbreiten. „Ich schätze, solche Leute haben ein sehr kleines Selbstwertgefühl.” Oftmals antworte sie auf solche Kommentare, teilweise schritten auch ihre Follower*innen ein, um sie zu verteidigen, sodass eine Diskussion in den Kommentaren entfache. „Ich habe solche Kommentare, oder die dazugehörigen Profile, teilweise gemeldet. Das hat bisher gut funktioniert.” Die Liste der von ihr blockierten Personen sei lang.

FU-Studentin und Content Creatorin Rebekka. Foto: Kristin Lahn.

Sie streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Zum Glück bekomme ich überwiegend positive Kommentare.” Wenn, dann werde meistens ihr Äußeres kritisiert, beispielsweise ihre Haare oder Körper. Sie biete jedoch als weiße, heterosexuelle cis Frau deutlich weniger Angriffsfläche für Hass und Diskriminierung, als es beispielsweise bei trans* Personen oder BIPoC der Fall sei. Gleichzeitig beobachtet sie aber auch: „Fast unter jedem Video, egal wie ›perfekt‹ eine Person, egal wie gut der Inhalt ist, gibt es viel Hass.”

Auf TikTok habe der Hass in letzter Zeit deutlich zugenommen. Das sei auch der Grund dafür, dass sie in den letzten zwei Monaten nichts mehr auf der Plattform gepostet habe. Sie wolle dieses Umfeld nicht unterstützen. „Mit Social Media kann man Geschichten erzählen, auf Dinge aufmerksam machen und miteinander interagieren, was echt toll ist. Menschen, die sich hasserfüllt gegenseitig diskriminieren, beleidigen und anderen sogar den Tod wünschen, verhunzen sich und anderen dadurch diese Möglichkeit.”

Inzwischen ist es draußen dunkel, der Rhabarberkuchen aufgegessen, die Stimmung vertrauter. Rebekka wird persönlicher: Ganz kalt, gibt sie zu, lässt sie der Hass nämlich dann doch nicht: „Ich habe es mir nicht immer gerne eingestanden, aber es gab schon Hasskommentare, über die ich noch lange nachgedacht habe. Sie verletzen dich, auch wenn du versuchst, sie zu ignorieren.” Man könne sie zwar löschen, ungeschehen seien sie dadurch jedoch nicht: „Manchmal zerfrisst es einen, aber ich versuche das irgendwie zu überspielen.”

Besonders schlimm sei es, wenn Kommentare auf einen wunden Punkt treffen und eigene Unsicherheiten ansprechen. Sie erzählt: „Bei mir war solch ein Punkt beispielsweise mein Gewicht. Wenn dir dann noch jemand sagt, ›Du bist fett‹, verletzt das sehr. Man fängt an zu denken: ›Ich habe vielleicht doch ein paar Kilos zu viel.‹ Und das, obwohl ich viel Sport mache und so ein Kommentar völlig irrelevant ist.”

Wie man mit solchen Verletzungen gut umgeht? Rebekka weiß es selbst nicht so genau, erklärt aber: „Ich denke, es ist einfach wichtig zu wissen, dass man nicht die einzige Person ist, die solche Kommentare bekommt. Leider scheint es eine Art Normalität auf Social Media zu sein, dass sich Leute grundlos beleidigen, ohne ihr Verhalten zu reflektieren oder darüber nachzudenken. Mich macht das sehr traurig.” 

Das Gespräch zeigt vor allem eines: Hass im Netz kann jeder*m widerfahren. Egal wie dick die Schutzmauern sind, egal wie banal ein Hasskommentar klingen mag, er trifft. Oft sehr persönlich.
Unterkriegen lässt sich Rebekka davon trotzdem nicht: Nachdem die Tonaufnahme fürs Interview gestoppt ist, zeigt sie begeistert ein Youtube-Video, das für sie eine Vorbildfunktion zu haben scheint: Nura und Juju, die Rapperinnen der ehemaligen Band SXTN, reagieren im Format DISSLIKE auf Hasskommentare mit der Rhetorik: „Fick dich selber.” Rebekka sagt, es gehe darum, sich Begriffe wie ›Fotze‹ selbst anzueignen und sie umzudeuten. Sie wirkt plötzlich wieder gut gelaunt und genauso selbstsicher und lässig, wie sie sich auch auf ihren Profilen gibt. In ihrem Song Hype lässt sie verlauten: „Ihr wollt mich kleinkriegen, doch ihr habt mich geschaffen!”

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