Alle Jahre wieder: Weihnachten zwischen Konsumkritik und Idealismus 

Jede Adventszeit befinden wir uns aufs Neue in demselben gesellschaftlichen Zwiespalt: Konsum oder Christkind? Doch diese Dichotomie ist nicht nur falsch, sie führt auch nur zu mehr Konsum. Ein Kommentar von Anna Kirchhofer.

Neben der Hoffnung auf Schnee bringen die Weihnachtstage unweigerlich auch die Diskussion über Konsumverhalten und die wahre Bedeutung von Weihnachten mit sich. Foto: Daniil Silantev

Mitte Dezember: Es geht in rasenden Schritten auf Weihnachten zu, ähnlich wie die Menschen auf das Kaufhaus, vor dem ich stehe, um mich mit ihnen auf die Suche nach Geschenken zu begeben. Lichter, Musik, Farben, Angebote – ich bin wie im Tunnel und ohne dass ich es gemerkt habe, sind vier Stunden vorbei, meine Füße tun weh, und ich habe doch nicht alles gefunden. In der S-Bahn nach Hause kickt das schlechte Gewissen: Das Weihnachtsgeschäft ist das größte des Jahres und ich habe gerade aktiv an diesem Wahnsinn teilgenommen. Dieses Bewusstsein mischt sich mit der Erkenntnis, dass ich eigentlich mehr Geld für Snacks und Kleinigkeiten für mich ausgegeben habe als für Geschenke und mit der unterschwelligen Angst, doch nicht das perfekte Geschenk für meine Freund*innen und Familie ausgesucht zu haben. 

Liebe oder Materialismus?

Wie es mir geht, geht es vielen gerade zu Weihnachten. Jedes Jahr scheint sich dieselbe Diskussion abzuspielen, ob in Zeitungen oder am Esstisch: Geht die wahre Bedeutung von Weihnachten verloren, wenn sich doch alles am Ende nur um Geschenke, also Konsum und Geld dreht? Doch im nächsten Satz geht es dann doch wieder ganz schnell um das neue iPhone. Die Gesellschaft befindet sich in einem Zwiespalt, auf deren Seiten sich Konsum und Liebe gegenüberzustehen scheinen, in dem man nie die richtige Position einnehmen kann. Aber was, wenn diese Dichotomie in der Realität gar nicht so diametral gegenübergestellt ist, wie wir denken?

Die klassische Konsumkritik beklagt, wir hätten eine ominöse ursprüngliche Bedeutung von Weihnachten verloren, die irgendetwas mit Liebe zu tun hat und auch mit der bürgerlichen Kernfamilie. Und ganz ursprünglich auch irgendwas mit Religion. Diese ursprüngliche Bedeutung wäre durch Konsum ersetzt worden: Essen, Geschenke, Filme, Musik etc. Das sei schlecht, und deswegen müssten wir zurück zu einer idealisierten prä-kapitalistischen Weihnachtsversion. Gut und schön. Dass Konsum, besonders so exzessiv, wie er in der Weihnachtszeit betrieben wird, nicht besonders wünschenswert ist, da stimme ich ja grundsätzlich zu. Die Frage ist eher: Ist die „Rückkehr” zur wahren Bedeutung von Weihnachten eine gute Alternative? Und wohin kehren wir überhaupt zurück?

Was ist die wahre” Bedeutung von Weihnachten? 

Die letzte Frage lässt sich einfacher beantworten: Es ist nicht schwer zu erkennen, wie über Idealbilder häufig gesellschaftliche Machtverhältnisse verhandelt werden. Ironischerweise werden die Idealvorstellungen dessen, was wir als wahre Bedeutung häufig meinen, oft in der Vermarktung von Weihnachten in Werbung und Medien eigesetzt: Beisammensein in der Kernfamilie, jene Beziehungen stärken, die innerhalb einer hetero-patriarchalen Gesellschaft die wichtigsten sind, also romantische und familiäre. Klare Rollenverteilungen: Mama kocht, Papa holt den Weihnachtsbaum. Es schneit. Noch eine Dimension des Weihnachtsideals: Es spielt in Europa, vielleicht mal in Nordamerika. 

Diese Idee von Weihnachten ist also vor allem eins: rückschrittlich. Gedacht für ein weißes, cis-heteronormatives Familienideal. Familien, die Geld, Raum und Zeit dafür haben, sich über die Feiertage zusammenzufinden, kurz: Familien der Mittelschicht. Andere Ideen? Vielleicht die Rückkehr zur religiös-traditionellen Weihnacht. Zudem ist das in einer zunehmend weniger religiösen Gesellschaft wohl nicht realistisch, zumindest nicht für die Hälfte der deutschen Gesellschaft, die nicht christlich ist. Und eine gute Alternative sollte doch mehr als die Hälfte der Gesellschaft mitdenken.

Die Idee einer wahren Bedeutung von Weihnachten ist also nicht die progressive Gegenbewegung, die wir uns für eine fortschrittliche Gesellschaft wünschen würden. Aber sie ist auch unter ökologischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll. Folgen für die Umwelt und die Menschen, die die Konsumgesellschaft, in der wir leben, notwendig implizieren, sind häufig große Kritikpunkte an ihr. Aber der vermeintliche Gegenentwurf einer ursprünglichen Weihnacht führt in einer kapitalistischen Gesellschaft zwangsweise zu mehr Konsum und nicht zu weniger. Liebe ausdrücken – das Ziel dieser alternativen Idee von Weihnachten – funktioniert in einer kapitalistischen Logik primär über Konsum. Hier bedient sich die Konsumwerbung dem Konzept einer ursprünglichen, familienzentrierten Weihnacht, und die vermeintliche Opposition der beiden Ideen wird untergraben. Unabhängig von den guten Intentionen, die wir haben, wenn wir versuchen, an Weihnachten weniger zu konsumieren, werden wir immer wieder gespiegelt bekommen, dass dies nicht ausreicht, um unsere Liebe auszudrücken. Das schlechte Gewissen und die Marketingkampagnen, die uns erzählen, dass wir mit diesem einen Produkt wirklich endlich perfekt unsere Liebe ausdrücken können, werden die meisten von uns wieder in den Kaufhaustempel oder in die Online-Shops locken.

Was wir wirklich brauchen: Ein Weihnachten jenseits von Konsumzwang und Familienideal

Es gibt also eigentlich keine gute Alternative zu der Banalität des Konsums, keine wahre Bedeutung von Weihnachten, auch deswegen, weil die Gegenüberstellung eigentlich keine ist, sondern in sich zusammenfällt, wenn man sie genauer betrachtet. Kleinfamilie, Instrumentalisierung von Liebe zugunsten von Profit, Arbeitsteilung, Kapitalismus. Die Themen der cis-heteronormativen, weißen Dominanzgesellschaft spiegeln sich in beiden Konzeptionen wieder. Was wir brauchen, ist ein progressiver Gegenentwurf und der beginnt mit einer systematischen Kritik am kapitalistischen System, das beide Ideen untermauert. Er beginnt aber auch mit einem Innehalten und etwas Zartheit. Wir versuchen, Konsum radikal abzulehnen und enden dabei in einem veralteten Idealbild von Familie, dass womöglich keine bessere, progressivere Alternative darstellt. Denn diese ist ebenso wie Konsum eng mit dem kapitalistischem System verbunden. Deswegen sollten wir uns nicht zuerst dafür verurteilen, dass wir konsumieren wollen, sondern erst einmal fragen: Was wollen wir damit eigentlich ausdrücken? Und wenn wir uns doch am Ende dem Druck ergeben, sollten wir uns erlauben, einen schönen Moment mit unseren Liebsten zu genießen. Egal, auf welche kaputte, konsumorientierte Art wir ihnen unsere Liebe zu zeigen versuchen. Und uns über die Implikationen und unser zukünftiges Verhalten auf konstruktive Art Gedanken machen – Konsumkritik braucht es nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr.

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