Zwischen Öko-Sau und Eulenspiegel

‚Alle reden von Gesellschaft – aber wovon reden wir da eigentlich?‘, fragt der Soziologe Armin Nassehi. Seine Antwort und was das Ganze mit dem Klimawandel und dem Jamaika-Aus zu tun hat, hat sich Carlotta Mickeleit angehört.

Armin Nassehi gilt als Popsoziologe seines Fachs.

Armin Nassehi gilt als Pop-Soziologe seines Fachs. Foto: wikipedia.org

„Er ist der Eulenspiegel der modernen Soziologie“. Mit diesen Worten wird Armin Nassehi vom Sprecher des Dahlem Humanities Center (DHC) vorgestellt. Trotz des komplett schwarzen Outfits merkt man sofort, dass ihm „der Schalk im Nacken sitzt“: während der Präsident der FU das Publikum der diesjährigen Hegel Lecture begrüßt, scherzt er ununterbrochen mit seinem Sitznachbarn. Der 57-jährige, der unter anderem in Teheran und München aufgewachsen ist, übernahm 1998 in letzterer Stadt den Lehrstuhl für Soziologie. Vom Sprecher des DHC wird Nassehi als „öffentlicher Intellektueller“ beschrieben, der die Welt nicht aus seiner Studierstube, sondern „aus dem Taxi“ zu verstehen versucht.

Freiheit, Philosophie und Fetische

Die Hegel Lecture steht ganz in der Tradition ihres Namensgebers – offen und frei, wie Berlin selbst, soll der Wissenstransfer zwischen Wissenschaftler und der allgemeinen Öffentlichkeit sein. In der sechsten Vorlesung springt der Gastredner von einem Philosophen zum nächsten, während er dem gut gefüllten Hörsaal, der jeder Einführungsvorlesung für Erstsemester Konkurrenz machen könnte, erklärt, wovon wir reden, wenn es um Gesellschaft geht – oder besser: wovon wir reden sollten. Aufgelockert wird die Veranstaltung erheblich durch die Tatsache, dass sich Nassehi selbst nicht ernst nimmt: er macht Witze über sein Gewicht und seinen Stiftfetischismus, bezeichnet sich sogar als „Öko-Sau“.

Gesellschaft als die Einheit von Ungleichem

Wozu die Selbstironie? Indem er sein Leben in all seiner Banalität illustriert, verdeutlicht Nassehi, dass wir die Gesellschaft nicht nur als Gestaltungsraum nutzen, in dem Entscheidungen getroffen werden und Zugehörigkeiten entstehen, sondern auch die Muster erkennen lernen, nach denen sich unser Verhalten richtet. Gesellschaft repräsentiert, laut Nassehi, die Einheit all dieser Dinge, die bisweilen auch inkompatibel sind. Die meisten Konflikte entstehen demnach aus Akteurskonstellationen, für die die Gesellschaft nicht erreichbar ist und die daher nicht vereint werden können.

Am Beispiel des Klimawandels wird deutlich, dass für politische, ökonomische und wissenschaftliche Akteure verschiedene Probleme bestehen, die Teil ihrer konkreten Gegenwart sind und ihr Handeln beeinflussen. So ist die ökonomische Perspektive stark beeinflusst vom ökonomischen Kalkül, das wiederum für die wissenschaftliche oder politische Sichtweise weniger von Bedeutung ist.

Das Problem der „verteilten Intelligenz“ und die Lösung in der Politik

In der Komplexität liegt das Problem – oder, um es mit einer Informatikmetapher auszudrücken, in der „verteilten Intelligenz“ und ihren verschiedenen Schnittstellen. Um diese Intelligenz zu zentralisieren, wird die Politik als kollektivitätserzeugender Akteur benötigt. Indem politisch ein Rahmen für die Ungleichheiten der verschiedenen Gegenwarten erzeugt wird, wird Gesellschaft als politischer Begriff definiert: „Gesellschaft ist die Gleichzeitigkeit von Unterschiedlichem“.

Dass die Einheit von Unterschiedlichem in der Praxis nicht immer so schön funktioniert, wie es die Theorie von Nassehi verspricht, hat uns allerdings das Jamaika-Aus verdeutlicht. Die Sondierungsgespräche, die vor einem Monat gescheitert sind, haben gezeigt, dass eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner nicht immer ausreichend ist. Das Resultat künftiger Sondierungsgespräche wird also auch den Rahmen für unser gesellschaftliches Miteinander setzen – in all seiner Unterschiedlichkeit.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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