Habemus Stadtschreiberin!

Charlotte Wührer wurde zur Stadtschreiberin Berlins gewählt. Keine leichte Entscheidung für die Jury, meint Leonhard Rosenauer. Auf der Eröffnungslesung des Studierendenwerks lauschte er der literarischen Konkurrenz.

Berlin sind viele Blogs gewidmet – dieser könnte besonders werden. Bild: Pixabay

In einem Kaminzimmer sitzen drei Frauen in weißen Kunstledersesseln. Auf den Tischen vor ihnen liegt beschriebenes Papier. Gleich wird eine von ihnen beginnen vorzulesen, das Publikum wird klatschen und am Ende des Abends den Raum nachdenklich verlassen.

So oder so ähnlich verlief die Auftaktlesung „Berlin Stories“ in der Coffeebar „c.t.” am vergangenen Mittwoch. „Berlin Stories“ ist das neue Stadtschreiber*in-Projekt des Berliner Studierendenwerks, bestehend aus einem Blog, auf dem ein*e Berliner Studierende*r regelmäßig literarische Texte über die Stadt veröffentlicht und diese in ergänzenden Lesungen präsentiert.

„Es fehlt eine studentische Stimme in Berlin“, meint die Organisatorin Antje Grötzsch. Die Stadt verändere sich laufend und mit ihr das Leben der Studierenden. Über Jahre hinweg solle das Projekt also fortgeführt werden und in ferner Zukunft einen Rückblick ermöglichen auf die Themen, die Studierende heute umtreiben.

Kunst statt Klischees

Aus über 50 Bewerber*innen wählte eine Jury Charlotte Wührer von der FU aus. Für mindestens ein Semester wird sie die erste studentische Stadtschreiberin Berlins sein. Wichtig bei der Auswahl sei gewesen, dass die Autor*innen nicht Klischees reproduzieren, die sich um die Stadt ranken, sondern frische sprachliche Szenen auf die Stadt werfen, so der Lyriker und Jurymitglied Alexander Gumz. Neben Charlotte Wührer schafften das noch zwei weitere Bewerberinnen: Dana Vowinckel und Peregrina Walter wurden mit einer lobenden Erwähnung bedacht und eingeladen, ihre Texte bei der Auftaktlesung vorzustellen.

Sprachwitz gegen Schattenseiten

Wührers Texte sind gekennzeichnet von ihrem Sprachwitz und einer Energie, die durch code-switching und oft abstruse Gedankengänge Geschwindigkeit aufnimmt. So rast sie vom eigenen Geburtstag zu Teewurst und Derrida und landet schließlich beim psychischen Weltuntergang.

Wie knapp die Entscheidung der Jury gewesen sein muss, ließ sich während der Eröffnungslesung allerdings nur erahnen. Das lag vor allem an den Werken von Peregrina Walter, die Wührers Humor harte und herzergreifende Szenen entgegensetzte. Dabei erinnert Walters Schreibstil stellenweise an die Kurzgeschichten des Autors Clemens Meyer. Stille Begegnungen und authentische Protagonist*innen offenbaren mit nur einem Satz gesellschaftliche Schattenseiten. Vowinckel glänzte hingegen mit lyrischer Finesse und einer wohldosierten Portion Melancholie, ohne dabei in Kitsch abzugleiten. Das alles verpackt im großen Berlin, über das die drei Autorinnen viel zu erzählen hatten und dabei, wie gewünscht, nicht auf Klischees zurückgreifen mussten.

Charlotte Wührer macht den Anfang

Dass sich die Jury letztlich für Wührer entschied, ist zumindest eine kleine Überraschung, denn ihre Muttersprache ist Englisch. Für „Berlin Stories” schreibt sie zum ersten Mal auf Deutsch – zumindest teilweise. Einen genauen Plan habe sie für den Blog noch nicht. Online finden sich bereits einige Beiträge, die nicht immer frei von grammatikalischen Fehlern, aber unterhaltsam und charmant geschrieben sind.

Innerhalb des Projekts kann Wührer nun die Stadt und ihre Bewohner*innen neu entdecken und die Leser*innen daran teilhaben lassen. Wer die Nachwuchsautorin dabei begleiten möchte, sollte den Blog „Berlin Stories” im Auge behalten.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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