Das Klimaziel fest im Blick?

Die FU möchte bis 2025 klimaneutral sein – so kündigte sie es vor einem Jahr an. Doch was wurde bislang erreicht? Und schafft es die Unileitung, Studierende angemessen einzubeziehen? Von Maj Pegelow und Julian Sadeghi.

Das Gaskraftwerk Lichterfelde ist für die Energieversorgung der FU weiterhin unersetzlich. Foto: Maj Pegelow

Es war eine bemerkenswerte Pressemitteilung, die die Universität im Dezember 2019 herausgab:

„Freie Universität ruft Klimanotstand aus”

Die dazugehörige Erklärung enthält viele Handlungsfelder, ein Satz sticht besonders heraus: „Die Universitätsleitung bekundet ihre Absicht, bis zum Jahr 2025 die Klimaneutralität der FU erreichen zu wollen.” Doch nun, ein gutes Jahr nach der Ankündigung, werden Zweifel wach, ob die Universität es mit diesem Ziel tatsächlich ernst meint. Das Thema scheint versunken im Schatten der Pandemie. „Viel gemacht hat die FU durch Fridays for Climate Justice FU Berlin nicht”, sagt Student Johannes Milde. Er beobachtet die Klimabemühungen der Uni, sitzt im dazugehörigen Gremium und engagiert sich auch bei der der Hochschulgruppe Fridays for Climate Justice FU Berlin (FU4CJ). Auf Twitter gibt die Gruppe zu bedenken:

Studentischer Klimaaktivismus an der FU

Trotz Greta Thunberg, Fridays for Future, Schulstreik und Großdemonstrationen erreichte der Klimaaktivismus die Hochschulen verhältnismäßig spät. Erst im Herbst 2019 bekam die Gruppe der Studierenden Gewicht in der Klimaprotestbewegung. Bundesweit organisierten Students for Future-Ortsgruppen die Public Climate School mit Vorträgen, Workshops und Vernetzungstreffen zu Themen rund um Klimakrise und Nachhaltigkeit. So auch an der FU, wo die Klimastreikwoche  von einer fünftägigen Hörsaalbesetzung begleitet wurde.

Das lange verloren geglaubte studentische Engagement an deutschen Universitäten entfloh kurzzeitig seinem Dasein als notorisches Randphänomen. Das beeindruckte wohl auch das FU-Präsidium. Die Klimaproteste hatten augenscheinlich Handlungsdruck erzeugt: Die Uni rief den Klimanotstand aus und kündigte an, bis Mitte des Jahrzehnts klimaneutral zu sein. 

Die FU hatte sich schon vor 2019 Nachhaltigkeitsfragen gewidmet. Die öffentlichkeitswirksame Proklamation des Klimanotstands jedoch geht wohl tatsächlich maßgeblich auf das Engagement des im April 2019 gegründeten FU-Ablegers der Fridays for Future-Bewegung zurück. Im Juni 2019 hatte eine von der Gruppe einberufene Vollversammlung mit ungefähr 500 Teilnehmenden Forderungen an das Präsidium erarbeitet.

Und weg sind die Emissionen?

Betrachtet man die Fortschritte der Universität ein Jahr später im Detail, ergibt sich ein gemischtes Bild. Die FU reduzierte laut dem jüngsten Nachhaltigkeitsbericht ihre CO2-Emissionen zwischen 2001 und 2019 um 80%. Johannes kann diese Aussage nicht verstehen. Diese Reduktion gehe vor allem auf die Stromversorgung zurück. Die Uni rechne den kompletten Strom als Nullemission ab, obwohl sie weiterhin fossil erzeugten Gasstrom aus dem Kraftwerk in Lichterfelde beziehe.

Andreas Wanke, Leiter der Stabstelle für Nachhaltigkeit und Energie der FU, erläutert auf Anfrage, dass der FU ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien geliefert werde. Dies geschehe im Rahmen der vom Land Berlin koordinierten Stromausschreibung.

Diese wird von der im Jahr 2000 gegründeten Energiewirtschaftsstelle verwaltet. Dafür werden in einem wettbewerblichen Verfahren alle zwei Jahre europaweite Ausschreibungen für die Stromversorgung der öffentlichen Einrichtungen durchgeführt, so Wanke. Die Ausschreibung ist zudem an die Vorgaben des Berliner Abgeordnetenhauses gebunden, die CO2- und atomstromfreien Strom vorschreiben.

Ökostrom Wer bei einem Ökostromanbieter grünen Strom bestellt, erhält nicht automatisch CO2-freien Strom aus der Steckdose. Das wäre technisch gar nicht möglich. Stattdessen beeinflusst der Kunde durch die Bestellung von Ökostrom den Strommix zugunsten von erneuerbaren Energien und schafft Anreize, deren Ausbau voranzutreiben. Der Ökostromanbieter ist durch den Vertrag mit dem Kunden verpflichtet, die georderte Menge des CO2-frei erzeugten Stroms ins Netz einzuspeisen. Weitere Informationen gibt es beim Umweltbundesamt.

Da das selbsterklärte Ziel eine Klimaneutralität bis 2025 ist, muss die FU auch in weiteren Bereichen klimaneutral werden. So sind Dienstreisen ein großer Verursacher von CO2-Emissionen. Flugreisen, die über die Reisekostenstelle abgerechnet werden, werden erfasst, Auto- und Zugreisen jedoch noch überhaupt nicht. Wanke begründet dies mit dem relativ kleinen Anteil an den gesamten CO2-Emissionen der FU, den Auto- und Zugfahrten ausmachen würden. Auch der Bau von Gebäuden und die Entsorgung und Beschaffung von Gegenständen werden noch nicht berücksichtigt. Der Leiter der Stabsstelle für Nachhaltigkeit und Energie der FU geht davon aus, dass die sogenannten indirekten Scope 3-Emissionen, zu denen unter anderem Dienstreisen und die Beschaffung von Gütern gehören, die bislang an der FU empirisch erfassten CO2-Emissionen „um ein Mehrfaches übertreffen”. Das Thema Beschaffung werde man in diesem Jahr vertiefend bearbeiten.

Ungelöste Probleme

Auch die FU4CJ kommen im Nachhaltigkeitsbericht zu Wort und erläutern ihre Forderungen zum Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Sie sprechen auch die klimaschädlichen Investments der FU an, die im Nachhaltigkeitsbericht an keiner weiteren Stelle erwähnt werden. Das Divestment, also das Abziehen von klimaschädlichen Anleihen, wie beispielsweise von RWE, soll zwar erfolgen. Wann genau es jedoch dazu kommen wird, ist auch auf Nachfrage nicht ersichtlich. 

Die Fernwärme der FU kommt vom Heizkraftwerk Lichterfelde, das von Vattenfall mit Erdgas betrieben wird. Die Emissionen, die hier verursacht werden, können bis jetzt nicht vermieden, sondern nur ausgeglichen werden, beispielsweise mit Solarpanels auf den Dächern der FU-Gebäude. Das macht die FU auch teilweise schon. Johannes bezeichnet diese Kompensationsmaßnahmen jedoch als „Greenwashing”, da die Solarpanels nicht nur zur Kompensierung der Fernwärme der FU dienen würden. Die FU verpachte die Dachfläche unter den Solarpanels an Vattenfall, sodass der Energieversorger die Panels ebenfalls als Kompensationsmaßnahmen angeben könne und die FU zusätzlich finanziell profitiere. 

In der Vergangenheit schätzte auch die Nachhaltigkeitsstabsstelle die Klimaneutralität bis 2025 als schwierig ein. Sie ist nur durch ausreichende Kompensierung überhaupt möglich. Da die FU laut einer Rahmenvereinbarung über die Wärmeversorgung bis 2027 Fernwärme aus dem Heizkraftwerk Lichterfelde bezieht, müssen die Kompensationsmaßnahmen so weit reichen, dass sie die dort entstehenden Emissionen ausgleichen. Das soll durch Projekte wie das CarbonThink-Projekt geschehen, das im Nachhaltigkeitsbericht erwähnt wird.

Grün, grüner, Steuerungsgremium

Um den Universitätsangehörigen eine Mitsprache an der Klimastrategie der Hochschule zu ermöglichen, wurde das Steuerungsgremium Nachhaltigkeit und Klimaschutz eingerichtet, dem alle Statusgruppen angehören. Die Gruppe tagte im Januar 2020 zum ersten Mal, bislang gab es drei Sitzungen. Die Gremienmitglieder sollen ihre Arbeit darauf ausrichten, „die strukturellen Bedingungen für nachhaltigkeits- und klimaschutzorientierte Aktivitäten in allen Bereichen der Universität kontinuierlich zu verbessern”, heißt es im Protokoll der konstituierenden Sitzung.

Organisatorisch handelt es sich um eine beratende Kommission, die dem Akademischen Senat (AS) als höchstes Entscheidungsgremium der Universität zuarbeitet. Aus dem Steuerungsgremium heraus bilden sich weitere Arbeitsgruppen (AGs), die sich mit Themen wie Lehre, Forschung und Biodiversität befassen sollen. Die AG Campus teilt sich laut den Plänen der ersten Sitzung sogar noch weiter in kleine Teilgruppen auf. Johannes kritisiert diese Arbeitsweise: „Von den Studis sitzt da meistens keine*r drin, es sind einfach zu viele Sitzungen, an denen man teilnehmen müsste.”

Auch die Besetzung des Gremiums ist wenig überraschend: Der AS benennt die stimmberechtigten Mitglieder der einzelnen Statusgruppen; Personen, die nicht vom AS benannt wurden, können teilnehmen, haben aber kein Stimmrecht. Viele Entscheidungen treffe das Gremium aber ohnehin nicht, erzählt Johannes: „Das Einzige, über das abgestimmt wird, ist das Protokoll.” 

Ein machtloser Breakout-Room des AS?

Hier tritt deutlich der Charakter des Steuerungsgremiums als machtlose Beratungsgruppe des Akademischen Senats hervor. Insofern ist die vom Studierendenparlament im Dezember 2020 auf Antrag der Liste FU4CJ beschlossene Forderung nach einer paritätischen Mitbestimmung in allen die Nachhaltigkeit und Klimaneutralität betreffenden Gremien eigentlich ein Appell für eine Viertelparität im Akademischen Senat. Denn eine paritätische Verteilung des Stimmrechts im Steuerungsgremium Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist irrelevant, wenn in ihm sowieso keine Abstimmungen stattfinden.

Das Selbstverständnis der Steuerungsgruppe umriss die Vorsitzende und FU-Vizepräsidentin Verena Blechinger-Talcott laut des offiziellen Protokolls in der ersten Sitzung so: „Ziel soll sein, durch einen integrativen und dialog-orientierten Meinungsbildungs- und Beratungsprozess alle internen Stakeholder miteinzubeziehen.” Stakeholder Johannes findet, das klappt nicht: „Wirklich zu Diskussionen kommt es nicht.” Das Gremium diene seiner Wahrnehmung nach vor allem dazu, die vorab von der Stabsstelle für Nachhaltigkeit gefassten Pläne durchzuwinken. Wenn er Fragen zu den Vorhaben stelle, fielen diese auf taube Ohren. Er fordert, dass das Gremium „auch wirklich etwas entscheiden kann”. An der Kommunikation mit der Stabsstelle hat Johannes aber nichts auszusetzen. Die Mitarbeiter*innen seien bislang immer sehr kooperativ gewesen und er habe den Eindruck, dass sie wirklich etwas erreichen wollten, ihnen aber oft die finanziellen Mittel fehlen würden.

Auf die beteiligten Studierenden wirkt das Steuerungsgremium anscheinend dennoch eher wie eine Informationsveranstaltung und nicht wie ein Ort, an dem tatsächlich der Weg zur Klimaneutralität „gesteuert” wird. Doch auch das am Ende entscheidungserhebliche Gremium befasst sich nicht mit den Klimazielen – im Akademischen Senat wurde seit der Gründung des Steuerungsgremiums in keiner einzigen Sitzung inhaltlich über die Nachhaltigkeitspläne gesprochen.

Neuer Wein in alten Schläuchen

Ganz neu ist das Steuerungsgremium übrigens nicht. Nachdem die Uni 2016 ein Nachhaltigkeitsleitbild entwickelt hatte, konstituierte sich ein Steuerungskreis Nachhaltigkeit, der die Strategie und Schwerpunkte der Aktivitäten festlegen sollte. Auch im Nachhaltigkeitsbericht aus dem Jahr 2018 taucht das Gremium auf. Protokolle oder Ergebnisse der Arbeit sind auf der Onlinepräsenz der FU hingegen nicht zu finden.

In der Auftaktsitzung des neuen alten Gremiums im Januar 2020 regten mehrere Mitglieder an, „eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, die alle Bereiche der FU Berlin adressiert und eine breite Partizipation von Mitarbeiter*innen und Studierenden gewährleistet”. Passiert ist das nicht: Die Ergebnisse von über einem Jahr Arbeit werden äußerst lückenhaft kommuniziert. So finden Interessierte zwar versteckt im Campusnetz der Uni die ersten zwei Protokolle des Gremiums. Eine Verschriftlichung der dritten Sitzung im Oktober 2020 ist jedoch auf der Onlinepräsenz der FU ebenso wenig aufzufinden wie Einladungen zu kommenden Sitzungen. Auch ist unklar, welche Ergebnisse die einzelnen AGs bisher erarbeitet haben und ob sie überhaupt getagt haben. Der Link zum Wiki des Steuerungsgremiums ist tot. Präsident Ziegler betonte im September 2020 im Gespräch mit der FU-Pressestelle, man halte an den Klimazielen fest und habe auch in der Pandemie daran weitergearbeitet. Für die Universitätsöffentlichkeit nachprüfbar ist diese Aussage nicht.

Autor*innen

Julian Sadeghi

Einer der Julian Sadeghis dieser Welt.

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