„Meine Figuren sind wie meine Kinder“

Mit der Serie Kitz kommt der Schauspielerin und FU-Studentin Sofie Eifertinger erstmals internationale Aufmerksamkeit zu. Im Gespräch mit Dune Korth redet sie über die Einflüsse ihres Studiums, Repräsentation im Film und ihre Vorbildfunktion.

Schauspielerin und FU-Studentin Sofie Eifertinger im Roten Café. Foto: Dune Korth

Sofie Eifertinger, Hauptdarstellerin der am 30. Dezember auf Netflix erschienenen Mystery-Serie Kitz, kommt an einem grauen Nachmittag Anfang November aus dem Otto-Suhr-Institut. Sie trägt einen bunten Mustermix. Darauf angesprochen meint sie, vor der Kamera dürfe sie das nicht, und lacht. Zwischen zwei Seminaren setzen wir uns mit Kaffee und Kuchen in das frisch wieder eröffnete Rote Café. 

FURIOS: Was hast du dieses Jahr für Projekte abgedreht?

Sofie Eifertinger: Anfang des Jahres habe ich noch Kitz gedreht, für Netflix. Direkt im Anschluss bin ich für Der Feind meines Feindes, einen ZDF-Thriller, mit Zug und Bus nach Italien gefahren, an den Lago Maggiore. Im Anschluss ging es zu Der Geist im Glas (ein Märchen für die ARD, Anm. der Redaktion) nach Niedersachsen. Und dann habe ich noch den Passau-Krimi gedreht und Die Drei von der Müllabfuhr. Ich habe zum ersten Mal Schlag auf Schlag gedreht. Normalerweise waren das eher Ausnahmen – ich hatte meinen Alltag und relativ isolierte Drehprojekte. Diesmal ist es anders. Jetzt bin ich richtige Berufsschauspielerin und mein Studium rückt in den Hintergrund.

Wie ist es, so oft die Rolle zu wechseln?

Ich habe den Ansatz, eigentlich alles zu recyclen. Zum Beispiel beim Übergang vom Thriller zum Märchen: In dem Thriller für das ZDF bin ich in einem Zeugenschutzprogramm und werde entführt. Meine Figur lernt, sich in dieser Machtlosigkeit zu bewegen und zu emanzipieren. Das ist auch für Sophia (Sofies Rolle im Märchen Der Geist im Glas, Anm. der Redaktion) interessant. Sie ist im 17. Jahrhundert zutiefst in patriarchalen Strukturen gefangen. Menschliche Gefühle waren im Mittelalter keine anderen als heute. So konnte ich die Zeitreise übersetzen.

Und wie sieht dein Umgang mit dem immer wechselnden Umfeld aus?

Was das Drumherum angeht, habe ich sehr viel dazugelernt. Ich hatte eine viel stärkere Verbindung zu dem Team, lustigerweise durch Corona. Vorher hatte ich da mehr Ängste. Filmteams in Deutschland bestehen aus ganz verschiedenen Menschen und Konstellationen zueinander, mit relativ großen Altersunterschieden. Dadurch, dass ich sagen konnte: „Ich habe Bedenken wegen Corona, nicht aber den Menschen“, war ich viel besser connected und konnte mich viel wohler fühlen.

Was hat sich sonst durch Corona am Set verändert?

Vieles, wirklich vieles. Allein, Masken zu tragen, hemmt einen total großen Kommunikationsweg. Die kleinen Zwinkerer, sich mal zulächeln: Das ist ja ein gemeinsames Projekt, Film ist ein Teamsport. Die Zwischentöne sind verloren gegangen. Und natürlich auch die Feierabende, die gemeinsamen Wochenenden, das war alles erschwert. Einerseits ist da diese Verantwortung und Belastung der gegenwärtigen Situation. Gleichzeitig benötigt man aber auch Leichtigkeit, um einen Film zu machen. Das war eine riesige Dissonanz.

Wie bereitest du dich auf eine Rolle vor?

Meistens habe ich ein Gefühl zu einer Figur, sobald die E-Mail von meiner Agentin reinkommt. Dazu baue ich mir auch immer einen Archetypen. Erst kommen die Umschreibungen – zum Beispiel, dass sie Studentin ist und diesen und jenen Familienkonflikt hat. Durch das politikwissenschaftliche Denken betrachte ich die Machtverhältnisse: Wo ist die Figur eingeschränkt und was macht sie, um sich zu emanzipieren? Hierzu mache ich zwei Dinge. Zunächst erstelle ich einen emotionalen Fragenkatalog: Wie sehen die Beziehungen zu dieser Person aus? Was will sie? Hierbei nutze ich verschiedene Techniken. Ich arbeite mit systemischen Aufstellungen, aber auch mit Selbsthypnose, wo ich das embodiment¹ erforsche. Dann blicke ich auf die Identität: Wo kann ich die Figur in der Gesellschaft verorten? Hier ist auch ein Ansatz, mir die echten Geschichten hinter den Figuren anzuschauen, wie bei Die Drei von der Müllabfuhr, wo ich eine alleinerziehende Mutter spiele. 

Du sagst, dass auch dein Studium deine Arbeit beeinflusst. Letztes Jahr hast du deinen Bachelor in Politikwissenschaft beendet und jetzt studierst du Gender, Intersektionalität und Politik im Master. Welche Inhalte beeinflussen dich beim Schauspielen?

Ich habe mich relativ schnell auf Emotionen in der Politik spezialisiert. Da habe ich ein Konzept gefunden: Feeling Rules und Feeling Structures. Hier geht es darum, wie Institutionen nicht nur rationale Regeln bieten, sondern auch gewisse Empfindungsmuster beinhalten. Da hat es Klick gemacht, ich dachte: „Geil, das ist eigentlich das, was ich mache.“

Der Master stellt Identität und dadurch das Menschenbild ins Zentrum. Mir geht es primär darum, das Bild vom rationalen Menschen zu einem sinneswahrnehmenden Menschen aufzubrechen. Dass sich Herz und Verstand nicht beißen müssen.

Ich bin insbesondere daran interessiert, meine Position zu verstehen und dadurch auch zu analysieren, welche Ressourcen ich zur Verfügung habe und von wo mir diese bereitgestellt werden. Indem ich das autobiografisch erforsche, kann ich dann auch Figuren biografisch erforschen. Die Politikwissenschaften bieten hier Methoden und Frameworks.

Kitz soll weltweit auf Netflix ausgestrahlt werden. Was ist das für ein Gefühl?

Einerseits ist Lisi (Sofies Rolle in Kitz, Anm. der Redaktion) für mich eine abgeschlossene Figur, die für sich steht. Das heißt, ich empfinde gar nicht, dass ich persönlich da gesehen werde, sondern dass eines meiner Kunstwerke weltweit ausgestrahlt wird. Aber es ist schon krass, wenn ich daran denke, auf wie vielen Fernsehern mein Gesicht zu sehen sein wird. 

Emotionen sind eine so universelle Sprache. Ich finde es unglaublich toll, dass das global bestehen bleibt. Mit Trauer, Verlust und Liebe geht jeder einzelne Mensch um. Egal welche Nationalität, egal welche Religion, egal welche Sprache: Das ist universell.

Wahrscheinlich werden dich viele Menschen mehr als Lisi denn als Sofie wahrnehmen. Wie geht es dir damit?

Ich liebe das, weil ich damit total spielen kann. Meine Figuren sind ein bisschen wie meine Kinder. Das ist dann so, als würde jemand fragen: Wie geht es deinem Sohn, deiner Tochter? Wahrscheinlich werde ich viele Selfies machen, Autogramme geben und darüber sprechen, wie es war, zu spielen. Aber vor allem wünsche ich mir, dass andere diesen Prozess, den Lisi durchmacht, auch mitmachen können. Wenn Kitz die Zuschauer*innen inspiriert, wirklich miteinander in Kontakt zu kommen, dann freue ich mich einfach nur. Dann sage ich auf der Straße gern: Hier ist Lisi, willst du mit mir reden?

Wenn du sagst: „Hier ist Lisi“, ist es auch eine Last, die du dir als Vorbildfigur aufbürdest. Hast du durch deine Reichweite noch andere Verantwortung? 

In Kitz geht es um richtig und falsch, gut und böse. Es gibt Lager, die sich gegenseitig anklagen. Es gibt also auch eine Form von Friedensarbeit. Hier es geht darum, zu sagen: Ich bin ein Vorbild. Aber nicht, weil ich alles richtig mache. Ich mache Fehler. Ich trete in Fettnäpfchen. Ich vertue mich und bin kein perfektes Idol. Das ist menschlich. Ich kann aber darin ein Idol sein, dass ich authentisch bin und mich nicht zu sehr anpasse und kleinmachen lasse. Dass ich nicht aus Angst irgendwas nicht sage oder mache. Dann geht es auch nicht darum, mir nachzueifern, sondern darum, mehr zu sich selbst zu kommen. Das ist auch, was Lisi ausmacht. Was sie stark macht, ist, dass sie sehr bei sich bleibt, egal, was ihr Umfeld von ihr erwartet oder braucht. Sie vertraut sich selbst. Das wird möglich, wenn es nicht darum geht, etwas von außen zu übernehmen, sondern einfach nur darum, mehr mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Was trage ich eigentlich gern? In welchen Klamotten fühle ich mich wohl? Nicht: Was sagt mir jemand, was cool aussieht?

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Auf deinem Instagram-Kanal postest du auch Bilder unter #bodypositivity. Bilder, in denen du selbst „Wabbelarme, Speckröllchen und Teeniehaut“ siehst. Wie gehst du mit Erwartungen an deinen Körper um? Bekommst du viel Gegenwind?

Ich glaube, der größte Gegenwind kam von meinem inneren Kritiker. Total grob habe ich mir gesagt: „Du bist hässlich.“ Dann habe ich mich aber gefragt: Für wen bin ich eigentlich ich, für wen bin ich überhaupt in meinem Körper? Ich bin für mich hier. Alles, was ich tue, sei es Ernährung oder Sport, mache ich in erster Linie für mich. Das heißt auch, meinem Körper zuzuhören und ihn ganz individuell zu navigieren. Nicht, mir dieses oder jenes zu verbieten, sondern anzunehmen, was kommt. Das ist ein Tanz, eine Mischung daraus, wie ich mich verhalte, aber auch was mein Umfeld mir suggeriert. Das möchte ich eher mit Leichtigkeit sehen und mich nicht zensieren. Gegenwind von außen habe ich bisher noch nicht bekommen, eher positives Feedback. Es herrscht oft ein überproportional großer Druck auf dem Oberflächlichen, der keine Berechtigung hat. Es ist wichtiger, wie es mir innerlich geht. Und wenn es mir innerlich gut geht, dann strahle ich das auch nach außen.

Wie nimmst du den größer werdenden Ruf nach Diversität in der Filmbranche wahr?

Ich denke, dass das eine gesamtgesellschaftliche Bewegung ist. Aus der Perspektive einer Schauspielerin geht es darum, Dinge sichtbar zu machen. Etwas vor der Kamera laufen zu lassen und die Zwänge aufzubrechen, nach denen wir leben. Das ist das Sichtbare, die Oberfläche. Dann kommt die Frage: Was ist die Struktur dahinter? Woher kommen die Gelder? Wer entwickelt die Ideen? An welchen Stellschrauben fehlt noch eine Repräsentation? Letzten Endes geht es dabei um die Frage, wie weit ich mich von meiner eigenen Lebenswelt entfernen kann. Welche Tools brauche ich, um mich tatsächlich empathisch in andere Lebenssituationen zu versetzen? Und eine Antwort darauf ist: Das kannst du nicht! Die einzige Art und Weise, wie du authentisch und divers die Realität abbilden kannst, ist, indem du authentisch und real deine Filme drehst. Ich finde es richtig, dass das in der Besetzung anfängt. Da dürfen wir aber nicht aufhören.


Embodiment¹ (deutsch: Verkörperung) ist eine kognitionswissenschaftliche These, nach der das Bewusstsein einen Körper benötigt und eine physische Interaktion voraussetzt.

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