Berlin bleibt bunt

Seit Wochen gehen in ganz Deutschland so viele Menschen auf die Straße wie lange nicht. Sie demonstrieren gegen Rechtsextremismus, Faschismus und die AfD. Vor dem Bundestag in Berlin waren es mehr als Hunderttausend. Paula Friedel war dabei.

„Wehrt euch, leistet Widerstand”, singt die Menschenmenge am 21. Januar auf dem Platz der Republik. Foto: Tillmann Heide

„Liebe Bürgerinnen und Bürger. Schön, dass ihr da seid.” Mit diesen Worten der Organisator*innen wird die Demonstration eröffnet. Der Mond ist schon über dem Platz der Republik aufgegangen, als am 21. Januar um 16 Uhr die Kundgebung beginnt. Die Busse, Trams, S- und U-Bahnen Richtung Zentrum sind schon seit einer Stunde brechend voll. Auf dem Weg vom Hauptbahnhof über die Spree mussten aus Sicherheitsgründen Brücken gesperrt werden.

Ausgestattet mit Transparenten, Schildern oder Regenbogenfahnen strömen die Massen in Richtung Bundestag. Dort, auf dem Platz der Republik, zwischen Kanzler*innenamt und Bundestag, findet in Berlin zum zweiten Mal seit den Enthüllungen von CORRECTIV eine Demonstration gegen rechte Ideologien statt.

Ein Bündnis aus Fridays For Future, Gewerkschaften und Parteien hatte unter dem Motto „Demokratie verteidigen: Zusammen gegen Rechts” zu den Protesten aufgerufen. Zu Beginn schätzte der rbb die Menge auf etwa 30.000 Menschen; im Laufe der nächsten Stunde soll sich der Platz mit über 100.000 Menschen gefüllt haben.

Viele Kinder und Studierende sind auf der Demo

Die Demonstrierenden sind eine bunt gemischte Truppe: Studierende, Erwachsene, Rentner*innen. „Lieber Menschenrechte als rechte Menschen, steht auf ihren Schildern. „Berlin bleibt bunt”. Oder: „Ich bin Teil der schweigenden Mehrheit, aber der Mehrheit.”

Viele Studierende sind dabei. „Ich bin auf die Demo gegangen, weil ich das für einen wichtigen Baustein der Demokratie halte ”, sagt eine FU-Studentin. „Es ist wichtig zu zeigen, dass man mit den Entwicklungen und mit dieser Partei nicht einverstanden ist. Und es tut gut, zu sehen, dass man damit nicht alleine ist.”

„Ich konnte ihr hier zum ersten Mal zeigen, wer wir eigentlich sind.”

Eine Mutter, die ihre Tochter mit zur Demo nahm

Besonders auffällig in der Menge ist die hohe Anzahl an Kindern aller Altersgruppen – Grundschulkinder, Säuglinge in Tragetüchern und Kleinkinder, zu Fuß oder auf Schultern gesetzt, mit selbstgemalten Plakaten in der Hand.

„Die Atmosphäre ist extrem kinderfreundlich und hilfsbereit”, erzählt eine Mutter. Am vorherigen Sonntag war ihr Partner zum ersten Mal mit den beiden älteren Kindern auf die Anti-AfD-Demo gegangen, heute ist sie mit ihrer fünfjährigen Tochter da.

Viele Menschen gingen im Januar auf die Straße, um gegen Rechts zu demonstrieren. Vor dem Bundestag waren es zuletzt mehr als Hunderttausend. Foto: Tillmann Heide.

Auf die Frage, warum sie heute hier sind, sagt sie: „Kinder lernen, indem sie selber erleben und durch das, was ihnen vorgelebt wird. Das Thema der Demo konnten wir den Kindern gut erklären. Wir haben sogar zusammen überlegt, welche Kita Freund*innen und Familienmitglieder es betreffen würde, wenn plötzlich deutsche Staatsbürgerschaften zurückgezogen werden. Und dass es Realität werden könnte.”

Es sei eine tolle Erfahrung gewesen, ihrer Tochter Deutschland und Demokratie ganz konkret zeigen zu können. „Ich konnte ihr hier zum ersten Mal zeigen, wer Deutschland eigentlich ist, wer wir eigentlich sind. Ich konnte zeigen, wo das Kanzleramt ist und wo sich das Parlament trifft. Das ist für ein Kind ja eigentlich abstrakt und plötzlich stehen wir mittendrin unter so vielen Menschen, die alle für dasselbe Ziel auf der Straße sind.”

Wacht die Demokratie auf?

Die Demonstration ist eine Reaktion auf die von dem Recherchezentrum CORRECTIV aufgedeckten Ereignisse im Dezember 2023: ein Treffen faschistischer und rechtsradikaler Ökonomen und Politiker*innen. Am 10. Januar machte das Medienhaus das Geheimtreffen und die Pläne der Teilnehmer in einem Artikel öffentlich; am 17. Januar wurde die CORRECTIV-Recherche im Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht. „Es könnte eine Erzählung davon sein, dass wir laut sind. Dass wir hellwach sind. Und dass wir uns unsere Demokratie nicht wegnehmen lassen.” Mit diesen Worten wurde die Inszenierung des Berliner Ensembles beschlossen. Eine wehrhafte Demokratie brauche es, eine, die nicht schlafen dürfe.

Bisher scheint es, als wäre die Demokratie jetzt zumindest wacher als zuvor. Am kommenden Samstag, den 3. Februar, soll die nächste Aktion stattfinden: Das neue Bündnis Hand in Hand möchte unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer” eine Menschenkette um den Bundestag bilden. Mehr als 1.300 Organisationen haben zur Teilnahme aufgerufen, mehr als 100.000 Menschen werden erwartet.

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