Die „braune Wolfsschanze“ in Dahlem

Dass es an Universitäten immer noch Burschenschaften gibt, fällt an der FU kaum auf. Trotzdem verbreitet eine von ihnen in Dahlem weiterhin rechte Ideologie unter Studenten.

Das Haus der Burschenschaft von außen. Bild: Tim Gassauer

Karl* ist Mitte 20, kommt aus Berlin, trägt einen leichten Bart und Jogginghose. Er steht am Zapfhahn und schenkt Bier aus. Noch ist es ruhig im Raum. Auf dem Tresen vor ihm steht eine gusseiserne, schwarze Sparbüchse in Form einer Büste mit Fliege und Zylinder. Auf ihrem Hinterkopf steht „Jolly N***** Bank“. Im Hintergrund läuft Marschmusik.

Karl ist Mitglied einer Burschenschaft. Das sind Zusammenschlüsse männlicher Studenten, die gemeinsam wohnen, studieren und trinken. Dabei berufen sie sich auf eine lange Geschichte: Die erste Burschenschaft wurde 1815 in Jena gegründet und auf diese Tradition sind sie stolz. So stolz, dass sie sich gerne lustige Mützen aufsetzen, fechten und rechtes Gedankengut pflegen. Allein in Berlin gibt es mehr als 20 dieser Männerbünde. Allerdings sei es hier unüblich, in „voller Couleur“, also mit Mütze und Band herumzulaufen, während das Farbentragen in klassischen Universitätsstädten wie Göttingen oder Heidelberg fast zum Stadtbild gehört.

Die Burschenschaft Gothia, der Karl angehört, besitzt eine Villa im Stadtteil Zehlendorf. Gute Lage, großer Garten. Die Kneipe, wie der Aufenthaltsraum genannt wird, ist rustikal eingerichtet und voll mit Bildern alter Herren und diversen orange-weiß-schwarzen Fahnen der Gothia. Im Nebenraum wird gefochten. Allerdings nicht mit Florett und weißem Schutzanzug, sondern mit einem Degen aus hartem Stahl. Den schlagen die Männer über ihren Köpfen gegen einen Schaumstoffball, der auf einem Holzgestell aufgebaut ist. Das diene der „körperlichen Ertüchtigung“, sagt Karl. 

Ursprünglich habe es innerhalb der Burschenschaften liberale und deutschnationale Strömungen gegeben, erzählt der FU-Historiker Arnd Bauerkämper. Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzten sich jedoch die Deutschnationalen durch und auch der Antisemitismus nahm immer mehr zu. Viele Mitglieder fanden in den 1920er und 30er Jahren schnell Anschluss an die nationalsozialistische Bewegung, mit der es große inhaltliche Überschneidungen gab. Einige hochrangige Nationalsozialisten wie Heinrich Himmler waren selbst Mitglied einer Burschenschaft. Innerhalb der konservativen Sphäre der Studentenverbindungen, die teilweise auch liberale oder christliche Werte vertreten, stellen Burschenschaften heute den rechten und deutschnationalen Flügel dar. Die Gothia selbst ist wohl am äußeren rechten Rand einzuordnen, sogar innerhalb der Szene spricht man von einer „braunen Wolfsschanze aus Zehlendorf“. An der FU sind sowohl das Tragen der Couleur als auch Burschenschaften unerwünscht. Nach einem Vorfall 2012, der auch in Verbindung mit Mitgliedern der Gothia stand, wurden die Dekanate angehalten, darauf zu achten, dass auf dem Campus keine Uniformen getragen werden.

Zwölf Aktive zählt die Gothia nach eigenen Angaben. Neueinsteiger, im Burschi-Slang „Füchse“ genannt, bekommen Nachhilfe in „politischer Bildung“, erzählt ein anderes Mitglied. Die Kneipe hat sich mittlerweile mit einigen Männern gefüllt. Frauen sind bei der Gothia nicht erwünscht. „Das ist eben unser safe space“, meint ein anderer. Damenbesuch sei zwar prinzipiell gestattet, dann allerdings nur auf den Zimmern. Im Rest des Hauses wird der Vergangenheit sehr viel Raum gegeben, besonders dem frühen 20. Jahrhundert. An der Wand im Flur hängt eine große Steintafel mit den Namen gefallener „Bundesbrüder“ aus beiden Weltkriegen. Im Treppenhaus und an den Wänden im ersten Stock hängen Plakate, die zum Beispiel auf die Luftwaffe anspielen. Eines davon wirbt für die Rekrutierung zur Reichswehr, die bis 1935 bestand. Solche Darstellungen seien nah an der Verfassungsfeindlichkeit, sagt der Historiker Bauerkämper.

Was bewegt diese jungen Männer dazu, sich einer Burschenschaft anzuschließen? Im Gespräch mit den Mitgliedern ergibt sich, dass alle hier etwas gefunden haben, was ihnen sonst an der Uni oder der Hochschule offenbar fehlt: eine Gemeinschaft. „Du bist mit hundert Leuten in einer Vorlesung und lernst nicht einen davon kennen“, sagt einer. In einer Burschenschaft brauche man sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen. Die Freundschaften machen sich später bezahlt – es ist kein Geheimnis, dass die hier geknüpften Netzwerke im Berufsleben intensiv genutzt werden. Ein Mitglied sagt: „Wenn ich Leute aus meiner Burschenschaft nehme, weiß ich, dass ich denen vertrauen kann.“ 

Wenn man Karl nach seinem politischen Standpunkt fragt, holt er weit aus. Er spricht die Bundeswehr an, sagt, sie werde kaputt gespart von den Regierungsparteien. Einzig die AfD würde das verhindern. Für deren Fraktion arbeitet Karl im Bundestag. Den Job habe er durch Beziehungen zu einer anderen Verbindung bekommen. Er betont immer wieder, er könne vollkommen akzeptieren, wenn jemand eine andere Meinung habe, weshalb er auch jede*n respektiere, der überzeugt sei vom Sozialismus. Auf die Frage, ob es denn Meinungen gebe, die die Gothia nicht akzeptiere, antwortet Karl: „Wenn jemand für Hitler oder Stalin ist, muss er das halt gut argumentieren. Aber Tabu-Themen gibt es nicht.“ Zum Holocaust etwa bilde er sich seine eigene Meinung, indem er beiden Seiten zuhöre. „Die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen.“

Bei der Gothia sieht man sich selbst gerne in der Opferrolle: „Uns wird vorgeworfen, wir seien gegen Frauen. Dabei haben wir Damenbesuch. Uns wird vorgeworfen, wir seien gegen Ausländer. Dabei haben wir einen Ungarn bei uns.“ In Heidelberg kam es bei einer befreundeten Burschenschaft kürzlich zu einem Vorfall, bei dem ein jüdischer Gast von Mitgliedern mit Gürteln geschlagen und mit Münzen beworfen wurde. Nach einer Anzeige wurde der aktive Teil der Burschenschaft aufgelöst, bestätigt die dortige Studierendenzeitung ruprecht. Bei der Gothia spielt man den Vorfall herunter. Das sei genauso wenig Körperverletzung wie ein leichter Schlag auf die Schulter.

Die enge Gemeinschaft der Gothia kommt zu einem hohen Preis. Die Rückwärtsgewandtheit der Burschenschaft ist Programm. Kritik wird als haltlos abgetan und Probleme werden verharmlost. Und obwohl sie an Berliner Universitäten nur ein Randphänomen sind, reicht ihr Einfluss bis in die Bundespolitik. „Wir wollen nur in Ruhe saufen und unser Studium zu Ende machen“, sagt Karl.

*Name geändert, Zitate aus dem Gedächtnisprotokoll

Anm. d. Red.: Titel und Teaser haben wir nach Kritik aus unser Leser*innenschaft nachträglich geändert.

Autor*innen

Matthaeus Leidenfrost

Jäger des verlorenen Satzes

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