Nahostkonflikt, klimafreundliche Snackautomaten und ein neuer Wahltermin: Das Studierendenparlament verhandelt nach der langen diskursiven Durststrecke der letzten Sitzungen nun wieder die ganze Breite des hochschulpolitischen Themenspektrums. Julian Sadeghi berichtet.
Das Wichtigste im Überblick:
- Die nächste Stupa-Wahl findet voraussichtlich Mitte Januar 2022 statt.
- Das Studierendenparlament diskutierte über zwei in Bezug aufeinander eingebrachte Resolutionen zum Thema Antisemitismus innerhalb linker (Hochschul)gruppen.
- Die Parlamentarier*innen fordern nachhaltig bestückte Snackautomaten und eine universitätsübergreifende Öffnung der Berliner Bibliotheken.
Sie existiert also doch noch, die Meinungsverschiedenheit im Studierendenparlament (Stupa) der FU. Nachdem die Sitzungen des Gremiums seit geraumer Zeit vor allem durch weitgehenden inhaltlichen Konsens geprägt waren, zeigten sich Teile des Plenums in der Zusammenkunft am vergangenen Mittwoch ungewohnt lebendig.
Wahlverschiebung, die letzte?
Zunächst diskutierte man in eigener Sache. Dass die pandemiebedingt ausgefallene Stupa-Wahl noch nicht nachgeholt wurde, erhitzte schon in der letzten Sitzung teils die Gemüter. Nun kündigte der studentische Wahlvorstand (StudWV) an: Die nächste Wahl für das Studierendenparlament wird voraussichtlich vom 11. bis 13.01.2022 stattfinden. Die Vorsitzende der FU-Gruppe des Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) – selbst keine Parlamentarierin, aber mit Ambitionen, eine zu werden – sprach mit Verweis auf andere Berliner Universitäten, an denen Stupa-Wahlen trotz Pandemie stattfanden, von einem „demokratischen Armutszeugnis“. Der stellvertretende Vorsitzende des StudVW widersprach dieser Darstellung. Die Wahlordnungen seien von Uni zu Uni unterschiedlich. Die an der FU notwendige Anzahl an Unterstützer*innen zu finden, sei während der Unischließungen „ein Ding der Unmöglichkeit“ gewesen. Eine frühere Wahl als im Januar kommenden Jahres sei wegen der einzuhaltenden Fristen und der dazwischen liegenden Semesterferien nicht zu realisieren.
Ergebnisloses Standpunkt-Schaulaufen
Das Stupa befasste sich darüber hinaus mit zwei Anträgen zum Thema Antisemitismus innerhalb linker Gruppen in Berlin und an der FU.
Die Resolutionen
Die FSI*OSI hatte eine neunseitige Resolution „zur Verurteilung des Antisemitismus auf der ‘Revolutionären 1. Mai’-Demonstration sowie weiterer antisemitischer Agitationen im Mai in Berlin & zur Erklärung der Solidarität mit dem jüdischen Staat Israel und zur Stärkung antisemitismuskritischer Bildung an der FU Berlin“ eingebracht. Die Resolution verurteilt das Auftreten und die Gruppen des vorderen „antisemitisch agitierenden“ Blocks der linken 1. Mai-Demonstration dieses Jahres und „unzählige, hier nicht näher zu nennende Studierende der FU“, die während des elftätigen militärischen Aufflammens des Nahostkonflikts Mitte Mai Teil von „antisemitischer Agitation“ in den Sozialen Medien gewesen seien. Auch kritisiert die FSI*OSI die im Stupa in Form der Liste organize:strike vertretene trotzkistische Gruppierung Klasse gegen Klasse. Diese habe die Demonstration „gegen sämtliche Kritik verteidigt“ und zeige seit langem antisemitische Ressentiments.
Organize:strike hatte daraufhin zusammen mit SDS.Die Linke eine fünfseitige Gegenresolution „zur Verurteilung der Kriminalisierung und Diffamierung von Palästina-Solidarität in Deutschland und an der FU und zur Stärkung rassismuskritischer und antisemitismuskritischer Bildung auf Grundlage der ‘Jerusalem Declaration’ durch kritische jüdische und palästinensische Akademiker:innen“ eingebracht. In dieser kritisieren die beiden Listen die Resolution der FSI*OSI. Diese leugne die „Unterdrückung Palästinas“ und betreibe „Rückendeckung für die kolonialistische Politik des israelischen Staates“. Die FSI*OSI helfe „dem deutschen Staat bei der […] Kriminalisierung migrantischer, antiimperialistischer und antikolonialistischer Kräfte“.
Die Diskussion
Die beiden Resolutionen spiegeln die gegensätzlichen, an sich nicht neuen Positionen antideutscher und antiimperialistischer Linker wider; die beiden Sichtweisen prallten dann auch – inhaltlich wenig originell – in der folgenden Diskussion aufeinander. Neben Parlamentarier*innen und Sympathisant*innen von organize:strike bzw. Klasse Gegen Klasse sprachen auch nicht im FU-Stupa sitzende Mitglieder der durch die Ursprungsresolution angegriffenen Gruppen. Eine echte, inhaltlich weiterführende Diskussion entstand dabei nicht. Das lag auch daran, dass keine*r der Beteiligten zum Kern der Debatte vorstieß: Die offenkundig zwischen den beiden Lagern divergierenden Antisemitismusdefinitionen wurden inhaltlich nicht thematisiert.
Im Gegensatz zu den antiimperialistischen Gruppierungen, die viel Redezeit beanspruchten, entschied sich die FSI*OSI offenbar, die eigene Resolution für sich sprechen zu lassen, sich nicht auf eine längere Plenumsdiskussion einzulassen und damit die sichtlich aufgebrachte Gegenseite auflaufen zu lassen. Die meisten anderen Listen positionierten sich zu der Thematik gar nicht erst, einige versuchten sich an differenzierenden Sichtweisen. Beide Resolutionen wurden letztlich bei einer großen Anzahl Enthaltungen abgelehnt.
Während der gesamten Debatte wurden parallel schriftlich im Webex-Chat teils polemische Nachrichten geschrieben. Einzelne Teilnehmer erhielten in der Folge Ordnungsrufe durch die Sitzungsleitung.
„Ökosnacks sind scheiße, schickt die Leute ins Studicafé!“
Nach der ergebnislosen Positionsproklamation zu Nahostkonflikt und Antisemitismus wandte sich das Plenum wieder der pragmatischen Parlamentspraxis zu. Es beschloss zunächst die Forderung, die Snackautomaten in den FU-Gebäuden zukünftig nicht mehr mit Produkten von Nestlé und Coca-Cola, stattdessen „nachhaltig und fair“ zu bestücken. Die von FU for Climate Justice eingebrachte Resolution war dabei nicht ernsthaft umstritten, eine Parlamentarierin äußerte jedoch ihren Unmut über „Ökosnacks“ und forderte, die Studierenden doch stattdessen einfach in die studentischen Cafés zu schicken.
Zuletzt verabschiedete das Plenum noch eine von der Grünen Hochschulgruppe eingebrachte Resolution, die die Wiedereröffnung der Berliner Unibibliotheken auch für Studierende anderer Unis fordert. Als Grund dafür wurden teilweise lange Fahrtwege genannt, die entstehen, wenn Studierende nur in den Bibs derjenigen Universität lernen können, in der sie immatrikuliert sind.