Unsichtbar – Zu welchem Preis?

Unsichtbar werden – geht das wirklich? Neueste Techniken zeigen: Ja, das ist möglich! In der Forschung und der Dual-Use Debatte wird das Thema jedoch heikel diskutiert. Lena Stein gibt einen Überblick.

Tarnmethode der Chamäleons gibt neue Inspiration. Illustration: Ric Sander Bohmann.

Seit Jahrhunderten sind Menschen von Unsichtbarkeit fasziniert. Sich unsichtbar machen zu können, verschafft Vorteile, die sogar überlebensnotwendig sein können. Wer unentdeckt und im Geheimen agiert, hat beispielsweise bei einem Kampf den Überraschungesffekt auf der eigenen Seite. Menschen orientieren sich an den Tarnstrategien von Tieren, um durch optisch täuschende Muster mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Ein typisches Beispiel sind die Camouflage-Uniformen der Bundeswehr. Wirklich unsichtbar sind sie dadurch nicht. Anders dagegen Harry Potter: Sein Unsichtbarkeitsumhang wird zur direkten Waffe im Kampf gegen Voldemort. Dennoch ist echte Unsichtbarkeit längst nicht mehr nur Teil von Science-Fiction und Fantasy-Romanen. Forschende arbeiten seit Jahren an der Konzipierung eines Unsichtbarkeitsumhangs. 

Metamaterialien bieten neue Möglichkeiten

Welche physikalische Beschaffenheit ein solcher Umhang bräuchte, beschreibt John Howell, Professor für Physik an der University of Rochester, auf dem News-Portal der Universität: „Es gibt viele High-Tech-Ansätze zum Tarnen und die Grundidee dahinter ist, Licht zu nehmen und es um etwas herumgehen zu lassen, als ob es nicht da wäre, oft unter Verwendung von High-Tech- oder exotischen Materialien.” Das menschliche Auge benötigt Licht zum Sehen. Wenn dieses auf ein Objekt trifft, wird es auf der Netzhaut absorbiert und vom Sehnerv ins Gehirn geleitet, um verarbeitet zu werden. Durch die Reflektion oder Absorption von Licht wird es möglich, Formen und Farben zu erkennen und zu unterscheiden. Soll ein Objekt unsichtbar gemacht werden, müssen also die Eigenschaften des Objekts so verändert werden, dass Licht weder reflektiert noch absorbiert wird. 

An der Duke University wird an einem Ansatz für ein Material mit diesen Eigenschaften geforscht. 2006 wurden dort erstmals sogenannte Metamaterialien konzipiert. Diese haben physikalische Eigenschaften, die in der Natur sonst nicht vorkommen – zum Beispiel einen negativen Brechungsindex. In der Natur vorkommende Materialien haben meist positive Werte. Durch diesen sind die Metamaterialien im Stande, Licht um Objekte herumzuleiten. Das Licht verhält sich dann wie Wasser, das um einen Stein herum fließt und lässt das Objekt für das menschliche Auge unsichtbar werden. Die meisten Metamaterialien bestehen aus sehr dünnen Silber- und Kieselerde-Drähten. Diese sind jedoch unbeweglich und kostspielig, so dass sich bisher noch kein Unsichtbarkeitsumhang daraus herstellen lässt.

Was, wenn die Forschung zweckentfremdet wird?

Die Forschung zur Unsichtbarmachung ist ethisch keinesfalls unbedenklich. Eine Entdeckung oder Erfindung kann auch immer zu anderen Zwecken als dem eigentlichen Forschungsgrund missbraucht werden. Diese Problematik ist auch unter dem Begriff Dual-Use bekannt. Lisanna Kelz studiert am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU und leitet ein studentisches Forschungsseminar, ein sogenanntes X-Tutorial, zu Ambivalenzen der (Berliner) Wissenschaften und unsere Verantwortung als Forschende. Sie erklärt, der Begriff des Dual-Use beschreibe in der Wissenschaft jene Forschung, die „für zivile Zwecke durchgeführt wird, deren Ergebnisse jedoch militärisch zweckentfremdet werden können.” Das X-Tutorial frage nach einem potenziellen Risiko durch eine Zweckentfremdung von Forschungsergebnissen, wobei hierbei die Vor- und Nachteile abgewogen würden. „In einem weiter gefassten Dual-Use Verständnis würde man sich eher die Frage nach guter Wissenschaft stellen und Forschung danach unterteilen, ob sie nützlich oder schädlich für die Gesellschaft ist.” Eine explizite Definition des Begriffes gebe es dennoch nicht.

Nach Lisannas Einschätzung könnte die Forschung zur Unsichtbarkeit einen klassischen Fall von Dual-Use darstellen, da „die Ergebnisse zum Einsatz von Gewalt, zum Beispiel militärischer oder terroristischer Natur, zweckentfremdet werden und dabei großen Schaden nach sich ziehen könnten.” Ein Beispiel dafür, welche Vorteile es bringen kann, Objekte unsichtbar zu machen, zeigt ein Forschungsergebnis der University of Rochester. Dort gelang es John Howell und Joseph Choi mit vier normalen Glaslinsen durch Objekte hindurchzuschauen. Das Licht wird so umgeleitet, dass der Hintergrund optisch ungestört bleibt. So könnten Chirurg*innen beispielsweise durch ihre Finger hindurchsehen, während sie operieren. Diese Methode ist im Gegensatz zu Metamaterialien günstig und mit Alltagsgegenständen aus dem Labor realisierbar, dennoch hat auch sie ihre Grenzen.

Eine andere Möglichkeit, Objekte für alle Blickwinkel verschwinden zu lassen und die Statik zu umgehen, kommt aus der Tierwelt: Chamäleons ändern ihre Hautfarbe, indem sie die Umgebung auf der anderen Seite nachahmen, sodass sie scheinbar unsichtbar werden. Durch kleine Sensoren und winzige Linsen kann der Mensch diese Methode bereits anwenden. Die Sensoren projizieren hierbei ihren Hintergrund auf die Linsen, die diesen dann auf die Vorderseite spiegeln. Hier zeigt sich die Problematik des Dual-Use: Auch das britische Militär ist an der Methode interessiert, durch sie könnte es bereits in wenigen Jahren möglich sein, ganze Panzer unsichtbar zu machen.

Nutzen vs. Schaden: Was fällt mehr ins Gewicht?

Lisanna erklärt, wie ihrer Meinung nach mit einer solchen Ambivalenz umgegangen werden sollte: „Nutzen und Schaden werden gegenübergestellt. Aber wenn eine bestimmte Grenze überschritten ist, also ein bestimmter Grad an potenziellen katastrophalen Folgen erwartbar ist, spielt der Nutzen, ganz gleich wie hoch, keine Rolle mehr”. Dabei müsse man fragen, was Schaden überhaupt sei und wer die Deutungshoheit besitze, Schaden als Schaden zu deklarieren. Im allgemeinen Verständnis beschreibe Schaden jene Konsequenzen, die gegen (Menschen-)Rechte verstoßen oder einen enormen Nachteil für Menschen, Tieren oder Umwelt darstellen. 

Schäden können durch freiwillig eingeführte Zivilklauseln und Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) vorgebeugt werden. Diese bewerten anhand verschiedener Fragen, ob die Forschungsprojekte ethisch vertretbar sind oder nicht. An der FU gibt es dafür eine eigene KEF-Stelle, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Eine Zivilklausel, wie an der TU bereits seit 1991 und an der HU seit 2013, gibt es an der FU nicht. Seit Jahren fordern unterschiedliche Hochschulgruppen die Einführung einer umfassenden Zivilklausel an der FU. Auch in diesem Jahr hat die Hochschulgruppe Klasse gegen Klasse die Forderung in ihr Wahlprogramm für das Studierendenparlament aufgenommen. Ob die FU dies zeitnah umsetzen wird, bleibt offen.

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