Bring back the Guillotines: Superyachten von Grégory Salle

Triangle of Sadness goes suhrkamp: In Superyachten – Luxus und Stille im Kapitalozän arbeitet sich der französische Soziologe Grégory Salle an den Schiffen der Superreichen ab und legt die zerstörerischen Facetten des Kapitals offen. Eine Rezension von Anja Keinath.

“Man zieht am dünnen Faden der Superyachten, und das ganze Knäuel des fossilen Kapitalismus wickelt sich ab”, schreibt Grégory Salle. Foto: Anja Keinath

In Superyachten – Luxus und Stille im Kapitalozän geht es um all das, was die Schiffe der Superreichen zu bieten haben: Steuerhinterziehung, Klimazerstörung, Crewmitglieder, die unter schlechten Arbeitsbedingungen schuften, verschwinden und sterben, Klassenjustiz, Lobbyismus, Greenwashing und andere Eigenheiten des Kapitals. Wen interessieren Champagnerduschen an Deck, wenn man Klassenkampf haben kann?

Das dachte sich wohl auch der französische Soziologe und Politikwissenschaftler Grégory Salle. Für ihn sind die Luxusschiffe Ausdruck des Kapitalozäns – ein Begriff, der anders als der des Anthropozäns nicht alle Menschen, sondern die kapitalistische Produktionsweise in den Fokus stellt. Schließlich sind für die Zerstörung des Planeten nicht alle gleichermaßen, sondern vor allem die Profiteure dieses Systems verantwortlich.

Besonders deutlich zeigt sich dies in Superyachten, dem Sinnbild des kapitalistischen Exzesses. „Man zieht am dünnen Faden der Superyachten, und das ganze Knäuel des fossilen Kapitalismus wickelt sich ab“ – und so legt Salle in 18 kurzen Kapiteln all die zerstörerischen Facetten des Kapitals offen.

Die obersten 0,004 Prozent

Eigentlich, so beginnt Salle, betreffen Luxusyachten praktisch niemanden, denn weltweit sind nur knapp 6.000 solcher Schiffe in Betrieb. Wieso also sich daran abarbeiten? Weil sich in ihnen all das materialisiert, was in unserem kapitalistischen System schiefläuft. Selbst in einer Zeit, in der sich das Kapital zunehmend entmaterialisiert und finanzialisiert, stehen Superyachten nach wie vor wie kein anderes Symbol für den ungerechtfertigten Reichtum der Superreichen – oder wie Salle sie nennt: Kleptokraten.

In seinem Essay geht es Salle nicht um kleine Multimillionäre, sondern um sogenannte ultra-high net worth individuals, kurz UHNWIs. Das sind Personen, deren persönliches Nettovermögen 50 Millionen Dollar übersteigt. Im Jahr 2021 betraf das aber nicht das oberste 1 Prozent der Bevölkerung, sondern die obersten 0,004 Prozent der Weltbevölkerung oder absolut betrachtet: 218,200 Personen. 

Denn allein für den Betrieb einer Luxusyacht sind mehrere Millionen Dollar pro Jahr notwendig: für den Liegeplatz, die Versicherung, den Treibstoff. Was den betrifft, muss man für eine 70-Meter-Yacht mit 500 Litern pro Betriebsstunde rechnen. Daraus ergeben sich Kosten in Höhe von ungefähr 40.0000 Dollar pro Jahr. Anders gesagt: Mit den kumulierten jährlichen Ausgaben für die ungefähr 6.000 in Betrieb befindlichen Superyachten könnte man die gesamten Schulden der sogenannten Entwicklungsländer bezahlen.

Das als ideales Leben angepriesenes Verbrechen

In Superyachten offenbart sich aber noch mehr als die globale, finanzielle Ungerechtigkeit. Die Superreichen zerstören das Klima und Ökosysteme durch Midnight Dumping, der Entsorgung von Abfällen ins Meer im Schutz der Dunkelheit, illegales Ankern und die allein durch den Betrieb verursachten enorm hohen CO2-Emissionen. By the way lag der durchschnittliche individuelle CO2-Ausstoß im Jahr 2018 bei rund fünf Tonnen, Milliardär*innen hingegen verbrauchten jeweils rund 8.190 Tonnen. Der Humanökologe Andreas Malm bezeichnet den Yachting Lifestyle daher als ein als ideales Leben angepriesenes Verbrechen.

Doch genau wie bei der Ahndung von Finanzverbrechen werden die Umweltverbrechen der Superreichen an Bord ihrer Luxusyachten kaum ernsthaft verfolgt. Und während sich die einen mit Champagnerduschen an Deck die Zeit vertreiben, sind Arbeiter*innen immer wieder Unfällen ausgesetzt, einige sterben oder verschwinden. Polizei und Justiz arbeiten diese Fälle aber nicht so ganz genau auf. Salle verweist hier auf einen „juristischen Dickicht aus internationalen Gewässern, unbekannten Eignern und Registrierungen, die auf Gefälligkeiten beruhen” – Klassenjustiz, könnte man sagen.

„Das riesige intellektuelle und institutionelle Gerüst, das den Bereich der Delinquenz und der Kriminalität umreißt, hierarchisiert und kategorisiert, stigmatisiert Verstöße gegen manche Verbote, toleriert andere und lässt sie um sich greifen. Es ist streng gegenüber Gesetzesverstößen der breiten Masse und nachsichtig gegenüber solchen der Mächtigen, es verteilt gütliche Einigungen und ungerechtfertigte Vergünstigungen ungleich […] Damals wie heute ist dies eines der offenkundigen und zugleich versteckten Rädchen im allgemeinen Mechanismus der Klassenherrschaft.“

Grégory Salle

Zwischen Soziologie, Journalismus und erzählender Literatur

Salle verzichtet auf streng akademische Schreibregeln und bewegt sich stattdessen frei zwischen Soziologie, Journalismus und erzählender Literatur. Auf knapp 150 Seiten vermischen sich ernsthafte Systemkritik und Unterhaltung. So schreibt Salle über einen Journalisten der New York Times, der eine Website zur Ortung von Schiffen entdeckte und daraufhin scherzte, dass eine Vorrichtung, die Bewegungen von Kapitalisten in Echtzeit verfolgt, sicher ein nützliches Instrument sei, wenn die Revolution beginne.

Salle beschreibt den Luxus, der auf Superyachten herrscht, ziemlich detailliert. Nach wenigen Seiten denkt man zwar, alright, we get it. Aber man kann diese Ausführungen auch als einen ziemlich guten Reality Check ansehen, der zeigt, dass der Luxus, der in der Popkultur und Filmen wie Triangle of Sadness dargestellt wird, nicht der Fantasie von Hollywood-Regisseuren entspringt, sondern die Realität sogar noch unterbietet.

Was schließlich bleibt, ist der Wunsch nach einem Plan, der all das stoppt. Den liefert Salle zwar nicht konkret, überlässt am Ende jedoch Wirtschaftsanwalt Bill Duke den letzten Satz: „Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen.“


Superyachten erschien 2023 beim Suhrkamp Verlag und kostet 16 Euro.

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