Die FU fährt mit

Für bessere Arbeitsbedingungen, eine soziale Verkehrswende und gegen Rechts. Darüber haben Studierende unter dem Motto Wir fahren zusammen bei einer Vollversammlung diskutiert. Im Hörsaal waren auch special guests dabei. Line Grathwol berichtet.

Die Studierenden schließen sich den Forderungen des Bündnisses “Wir fahren zusammen” an. Foto: Joscha Nivergall.

Um die 200 Studierende haben sich Ende Januar 2024 im Hörsaal 1a versammelt. Eingeladen von der Hochschulgruppe Wir fahren zusammen und dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) wollen sie darüber abstimmen, ob sich die Studierendenschaft der Freien Universität Berlin (FU) hinter die Forderungen des Bündnisses von ver.di und Fridays for Future stellen möchte. Diese setzen sich zusammen für bessere Arbeitsverträge für die Beschäftigten bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Verkehrswende und gerechte Klimapolitik ein.

Außerdem wollen die Studierenden nach den Enthüllungen von CORRECTIV ein Zeichen gegen Rechts setzen. „Wir haben heute einige special guests hier“, kündigt Sabine von der Hochschulgruppe Wir fahren zusammen an, als sie alle Anwesenden begrüßt. 

Von dem Tisch, auf den die Studierenden von ihren Plätzen aus schauen, hängt ein buntes Banner auf dem steht: „Klimaschutz und Arbeitskampf? – Wir fahren zusammen!“ Dazu ist das grüne Logo von Fridays for Future abgebildet, das rote von ver.di und dazwischen ein neues violettes mit einem Zug und einem Bus darauf.

“Wir kämpfen für eine sozial-ökologische Klassenpolitik von unten.“

Ferat Koçak, Abgeordneter der Linken

Wir fahren zusammen wurde im Oktober 2022 in Berlin gegründet, erzählt Mitglied Debbie. Das Bündnis solle eine neue Bewegung innerhalb der Klimabewegung darstellen, die seit 2019 sehr viele Mitstreiter*innen verloren habe. Am 2. Februar fand bereits der erste bundesweite Streiktag statt. Die zugehörige Petition hat schon 72.000 Unterschriften und wird Anfang März an die Bundespolitik übergeben. 

Hoher Besuch im Hörsaal

Die Veranstaltenden wirken selbst ein wenig beeindruckt, als es Zeit für den ersten special guest ist: Ferat Koçak. Er ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Linke und antirassistischer Aktivist. Im Hörsaal der FU verbindet er die Geschichte eines rassistisch motivierten Anschlags auf ihn mit dem Rechtsruck sowie Klima- und Klassenkampf. Im Jahr 2018 zündeten mutmaßlich Rechtsextremisten sein Auto an, das neben dem Haus seiner Eltern stand. 

„Es geht nicht darum, ob du aus Neukölln, Spandau oder Lichtenberg, aus Rojava, Kabul oder Timbuktu kommst, denn was uns eint ist der gemeinsame Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für alle, für einen besseren Nahverkehr, für ein besseres Klima, gegen die Klimakrise”, erklärt Koçak. “Wir kämpfen für eine sozial-ökologische Klassenpolitik von unten.“

Er ist einnehmend, seine Stimme durch das Mikrofon klingt fast zu laut durch den großen Saal und erzeugt dadurch eine berührende Eindringlichkeit. Als er die Holocaustüberlebende und Antifaschistin Esther Bejarano zitiert: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“, ertönt schallender Applaus durch den sonst so viel leiseren Hörsaal.

Studierende “zeigen, dass sie keine Arschlöcher sind”

Dieser gemeinschaftliche Aspekt, das solidarische Zueinander-Stehen, ist es, der auch die Geschichtsstudentin Stella zur Vollversammlung gebracht hat. „Es ist schön, wenn sich alle Studierende zusammensetzen und zeigen, dass sie keine Arschlöcher sind.“ Stella erzählt auch, wie beeindruckt sie von den special guests ist: „Das sind einfach Promis aus meiner Politikszene.“ 

Die nächste Rednerin ist ebenfalls bekannt in linken, klimaaktivistischen Kreisen: Carola Rackete ist Ökologin und wurde bekannt als Kapitänin der Sea Watch 3, die im Mittelmeer Migrant*innen vor dem Ertrinken rettete. Sie tritt als Spitzenkandidatin der Linken bei den diesjährigen Europawahlen an. Sie beginnt ihren Vortrag mit einer Anekdote über die schlechte Busverbindung auf dem Land: „Eine Freundin von mir musste nach der Schule häufig fünf Kilometer mit den Inlineskates nach Hause fahren.“

Auch heute würden die Probleme von damals noch existieren: Es gebe zu wenig ÖPNV und der Vorhandene sei zu teuer. Das neue Bündnis stelle ein neues Kapitel in der Geschichte der Klimagerechtigkeitsbewegung dar, denn nun werde der Klimakampf nicht nur als mittelständische Bewegung verstanden. „Klima und Soziales, das schließt sich nicht aus, das geht Hand in Hand, das ist die gleiche Sache!“ 

Der eigentliche Star des Abends

Der zweite Teil des Bündnisses kommt mit Matze in den Hörsaal. Matze ist seit siebzehn Jahren bei der BVG und dort Personalratsvorsitzender. Er berichtet aus dem Alltag und von dem Stress, dem die Beschäftigten beim ÖPNV ausgesetzt sind: Am letzten Tag ihrer Sechstagewoche seien die Busfahrer*innen durch aus so müde, dass sie an den Ampeln vorsichtshalber die Feststellbremsen ziehen, damit sie nicht wegrollen, falls sie kurz einnicken. Es gebe zu wenig Pausen, veraltete Fahrpläne aus den 90er Jahren und immer mehr motorisierten Individualverkehr. Außerdem fehlen insgesamt 78.000 Beschäftigte fehlen. Wir fahren zusammen sei „Wie so ‘ne positive Wolke, die durch den Betrieb zieht.“

Am Anfang hätten viele Kolleg*innen nicht verstanden, „dass junge Leute in den Betrieb kommen, aktiv sind und helfen wollen.“ Heute seien sie froh, miteinander zu arbeiten. Auch wenn das nicht überall in Deutschland so gut funktioniere wie in Berlin. In Mannheim oder Heidelberg beispielsweise, erzählt Matze, dürften die Klimaaktivist*innen nicht auf die Betriebsgelände. Wichtig ist ihm am Ende zu betonen: „Wir nehmen alle mit, außer die Leute von Rechts außen, die haben keinen Platz bei uns“.

200 Studierende “fuhren” bei der Vollversammlung Ende Januar mit. Foto: Joscha Nivergall.

Anschließend wird über die Forderungen abgestimmt. Sie liegen ausgedruckt vor allen Studierenden, werden einmal kurz vorgelesen und einstimmig angenommen. Damit stellen sich die FU-Studierenden hinter die Forderungen von ver.di. Es geht um 500 Euro Urlaubsgeld und zehn Minuten Wendezeit auf allen Linien. Außerdem sollen pro Jahr 16 Milliarden Euro in den ÖPNV fließen. 

Außerdem richtet die Vollversammlung spezifische Forderungen an die FU: Eine bessere Anbindung an den ÖPNV, ein kostenloses Deutschlandticket, das für alle gilt. Außerdem solle sich die Universitätsleitung gegen Rechtsextremismus und die Infragestellung des Rechts auf Asyl positionieren und mehr finanzielle Mittel für antirassistische und antifaschistische Projekte auf dem Campus zur Verfügung stellen.

Kritik an der Kommunikation des AStA

Spannend wird es erneut, als eine Vertreterin der internationalen PhD-Studierenden an das Mikrofon tritt. Es geht um das Semesterticket. Denn Doktorand*innen, Fernstudierende, Studierende im Urlaubssemester, in Berufsbegleitenden Studiengängen und alle, die im Semester weniger als 15 ECTS belegen, werden ab nächstem Semester vom Semesterticket ausgeschlossen.

Noch sind die Verhandlungen des AStA mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) nicht abgeschlossen, doch die PhD-Studierenden üben Kritik an der schlechten Kommunikation des AStA. Sie seien viel zu spät über die Änderungen informiert worden, obwohl der AStA eigentlich verpflichtet sei, die Studierenden zu vertreten und transparent zu kommunizieren. 

„Wir sind hochgradig unzufrieden mit dem neuen Semesterticket.”

AStA-Vertreterin

Die PhD-Studentin hält ihre Rede auf Englisch, doch den letzten Satz trägt sie auf Deutsch vor: „Wir möchten gerne zusammen fahren, aber anscheinend dürfen wir gerade nicht mit.“ Eine AStA-Vertreterin entschuldigt sich für die missratene Kommunikation und verweist darauf, dass die Verhandlungen mit dem VBB sehr kompliziert gewesen seien.

Die VBB hätte Angebote dargelegt, die der AStA entweder annehmen könne oder die Konsequenz zu tragen hätte, dass gar kein Ticket zustande kommen würde. Außerdem sei von Seiten des VBB nur eine Person für die Kommunikation mit den Studis zuständig gewesen. Die Zusammenarbeit sei sehr unzuverlässig gewesen. „Wir sind hochgradig unzufrieden mit dem neuen Semesterticket“, erklärt die AStA-Vertreterin.

Am Ende stellt Geschichtsstudentin Stella fest: „Nichts vereint so sehr wie das Leiden unter dem ÖPNV – ob als Fahrgast*in oder Beschäftige*r.“ 

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