Die Nachbarn von Auschwitz

The Zone of Interest zeigt den Familienalltag des KZ-Kommandanten neben dem Vernichtungslager Auschwitz. Constanze Baumann hat sich für FURIOS den neuen Film von Jonathan Glazer angeschaut.

Nur eine Mauer trennt die Hölle vom Paradies und das Leben vom Tod. Foto: Everett Collection

Bei der Oscarverleihung Anfang des Monats überzeugte The Zone of Interest die Jury gleich doppelt: Das Holocaust-Drama wurde nicht nur als bester internationaler Film prämiert, sondern räumte darüber hinaus die Kategorie Bester Sound ab. Und auch in Deutschland spielt der Film seit Kinostart ganz oben in den Charts mit. Über 100.000 Menschen waren bereits im Kino.

Der Vorhang geht auf, der Filmtitel erscheint, langsam lösen sich die weißen Buchstaben auf und dann – einige Minuten lang nichts als Dunkelheit. Während die Zuschauenden auf eine schwarze Leinwand blicken, baut sich eine immer bedrohlicher werdende Geräuschkulisse auf, die den Saal in eine schauerliche Atmosphäre hüllt. Irgendwann blendet die Kamera auf und erlöst die Besucher*innen aus ihrem mittlerweile fast schon tranceartigen Zustand. Jetzt ist der Himmel blau, die Sonne scheint, Vögel zwitschern. Inmitten der sommerlichen Landschaft: die siebenköpfige Familie Höß. Szenen wie aus dem Bilderbuch. 

Es ist der Geburtstag des Familienvaters Rudolf. Die Stimmung ist ausgelassen; Leichtigkeit liegt in der Luft und seine Frau Hedwig überrascht ihn zu seinem Ehrentag mit einem schicken Paddelboot. So weit, so normal. Doch dann ändert sich die Kameraeinstellung und die soeben konstruierte Idylle, zerplatzt mit einem Mal. Im Hintergrund erhebt sich eine massive Mauer. Es wird klar: Das Zuhause der Höß´ grenzt unmittelbar an ein Konzentrationslager.

Nebeneinander von Himmel und Hölle 

Wie konnte es passieren, dass Menschen, Teil des NS-Vernichtungsapparats wurden? Wie konnten sie Massentötungen organisieren oder diese achselzuckend hinnehmen? Mussten sie sich dafür nicht zumindest räumlich distanzieren, um sich die Geschehnisse schönreden zu können? The Zone of Interest beweist auf eindrückliche Art und Weise das Gegenteil. Die Familie des Auschwitz-Kommandanten Höß bewohnt ein Haus mit direkter Sicht auf das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Vollkommen unbeirrt dessen, erfüllten sie sich vor dieser Kulisse des Schreckens ihren Traum vom Eigenheim. Der Rasen ist perfekt getrimmt, die Blumen erstrahlen in allen erdenklichen Farben, sogar einen Pool gibt es. Hedwig Höß, die von Sandra Hüller gespielt wird, könnte nicht stolzer auf ihr Zuhause sein. Gerne führt sie ihre Gäst*innen herum, präsentiert diesen ihr kleines „Paradies“ und mokiert sich währenddessen über die KZ-Insass*innen. Zynisch beansprucht sie den Titel „Königin von Auschwitz” für sich. Als ihr Mann versetzt werden soll, weigert sie sich, Auschwitz und ihr dortiges Leben zu verlassen.

Bröckelnde Fassade

Jonathan Glazer versteht es, die Grausamkeit des Holocausts spürbar zu machen, ohne sie ein einziges Mal explizit zu zeigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Musik, die die makellose Szenerie durch schrille Töne immer wieder brutal zerreißt. Viele Details sorgen außerdem dafür, dass den Zuschauenden auf Schritt und Tritt ins Gedächtnis gerufen wird, was hinter der Mauer passiert: Bei einem Bootsausflug fischt Rudolf Höß Knochen aus dem Wasser, die Beete werden mit Asche gedüngt. Eine andere Szene zeigt, wie seine Kinder ahnungslos mit Zahnkronen spielen. Schreie und Schüsse sind oft zu hören. Auch die Angestellten des Hauses sind größtenteils Häftlinge. Die Kommandanten-Familie lebt zwar in einer kompletten Parallelwelt zu den Inhaftierten, dennoch sind die zwei Realitäten nicht strikt voneinander getrennt. 

Durchgängig bricht die entsetzliche Realität in das vermeintliche Idyll ein. So verdunkelt der Rauch aus den Schloten der Gaskammern kontinuierlich den Himmel, was dazu führt, dass die Anwohnenden ständig husten müssen und sogar krank werden. Hedwig und Rudolf Höß erfahren aus nächster Nähe den Holocaust – und fühlen sich dennoch pudelwohl dabei. Der Film zeichnet sie allerdings nicht nur als skrupellose Monster, sondern portraitiert sie vor allem als wohlwollende Eltern und normale Bürger*innen. Die erschreckende Erkenntnis: Das Böse kommt oft auch ganz banal und spießbürgerlich daher. Ein sehenswerter Film, der sich mit dem Horror der NS-Geschichte überraschend unkonventionell auseinandersetzt.

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