Neben dem Regen der Bogen

Über Berlin steht der Regenbogen. An der Freien Universität berichtet Bee vom regnerischen Unialltag als queere Person. Denn auch die Uni ist kein diskriminierungsfreier Raum.

Die Farbe der Regenbogen-Flagge. Illustration: Lena Stein.

Die Otto-von-Simson-Straße schlängelt sich um die Rost- und Silberlaube. Auf die kahlen Bäume der Regenbogen-Hauptstadt hat sich Schnee gelegt. Am Ende der Straße steht die AStA-Villa, deren bunte Fassade aus der weißgrauen Schneelandschaft hervorsticht. Dieser Anblick ist den Studierenden vertraut, doch vielen ist unbekannt, dass sich unter dem Dach das Café Pinky mit seiner queerfeministischer Literatur befindet. Wer hineingeht, findet im Dachgeschoss einen Begegnungsraum, der mittwochs für alle FLINTA*-Personen geöffnet hat. Ein zerschlissener Sessel, der seine besten Tage schon lange hinter sich hat, sowie lange Regale mit Büchern von Judith Butler und vielen weiteren, zieren den Raum. Das queerfeministische Referat des AStA verrät, dass die Bibliothek gerade aktualisiert wird. Bücher ausleihen kann man sich aber auch jetzt schon. Ebenfalls mittwochs findet hier der queerfeministische Peer-Support nach dem Motto Queers to Queers statt. „Oft geht es dabei um die Transition oder die Kontaktsuche zu anderen queeren Personen; manchmal auch um Diskriminierung, die Personen an der Uni erfahren“, erzählt der queerfeministische Support des AStA. Insgesamt werde der Support selten in Anspruch genommen, ein Bedarf bestehe allerdings.

Nicht so inklusiv wie gedacht

Die Werte der FURIOS-Umfrage zum Wohlbefinden von queeren Menschen an der Universität

Trotz des Regenbogen-Images Berlins kommt es in der Stadt regelmäßig zu Übergriffen. Im Jahr 2022 wurden der Berliner Polizei 1422 Hassdelikte aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtsbezogenen Identität gemeldet. Daneben dürfte es eine hohe Dunkelziffer geben. Auch die FU ist kein diskriminierungsfreier Raum. Eine nicht-repräsentative Umfrage der FURIOS ergab, dass 15 Prozent der queeren FU-Studierenden ihre Identität aus mitunter Sicherheitsbedenken geheim halten. Über ein Zehntel hat aufgrund ihrer Queerness bereits Diskriminierungserfahrungen auf dem Campus gemacht. Befragt wurden 107 Studierende, die angaben, Teil der LGBTQIA+ Community zu sein. Im Gegensatz dazu seien der Stabstelle Diversity und Antidiskriminierung der FU bis dato keine Fälle von Diskriminierung, die im Zusammenhang mit Queerness stehen könnten, bekannt.

In einem anderen Studicafé sitzt Bee, queere*r Student*in der Geschichte und Philosophie. Bee beschreibt sich als tuntige Schrulle, macht Drag, ist eine Person of Color (PoC) und verärgert über Rassismus und Queerfeindlichkeit an der FU. Auf den ersten Blick erscheine die Berliner Uni vielleicht links und queer – in den Studicafés hängen Regenbogenflaggen, es werden Aufklärungsveranstaltungen angeboten und die Universität legt viel Wert darauf, sich in öffentlichen Statements und Auftritten sehr progressiv zu zeigen. Viel dieser Sichtbarkeit werde allerdings von Studierenden selbst organisiert, erklärt Bee. Und vor allem zeichneten die Erfahrungen von Studierenden mit den Strukturen der Uni ein ganz anderes Bild: „Diese ganzen queeren Stammtische sind ja ganz nett, aber der Großteil der Professor*innen lehnt Dinge, die queeren Studierenden wirklich den Alltag vereinfachen würden, aus Bequemlichkeit ab. Und Anreden wie ›junge Frau‹ sind gang und gäbe. Ein binärer Blick auf Geschlechtsidentitäten spiegelt sich auch in den geschlechtergetrennten Toiletten auf dem Campus wider.“ Bee benutze daher die Frauentoiletten: „Ich versuche, es aktiv auszublenden und denke mir: Okay, dann bin ich halt für die nächsten drei Minuten eine Frau“. Auch das queerfeministische Referat kritisiert, dass diese binäre Toilettensituation, insbesondere für trans, inter*, non-binäre, gender-nonkonforme und agender Personen unangenehm bis gefährlich sein könne.

An der FU gebe es zwar große Fortschritte bei der Möglichkeit von Namensänderung, jedoch könne der Benutzer*innenname laut dem AStA im Self-Service der ZEDAT immer noch nicht geändert werden. Da dieser jedoch oftmals Aufschluss über den Deadname, also den Geburtsnamen, mit dem sich viele trans* Personen nicht identifizieren, gebe, seien trans* Studierende ständig mit diesem konfrontiert. Ebenfalls gebe es keine Möglichkeit, sich die Immatrikulationsbescheinigung sowohl für den Deadname als auch für den tatsächlichen Namen ausstellen zu lassen, so dass Betroffene gezwungen seien, sich beispielsweise bei der Beantragung des Kindergeldes durch Familienmitglieder zwischen dem Outing vor der Familie und der Verwendung des Deadnames an der FU zu entscheiden.

„Ich oute mich wegen meiner negativen Erfahrungen nicht an der Uni“, erzählt Bee. Bee habe das Gefühl, dass man dadurch direkt anders eingeordnet werde. Bee merke einen großen Unterschied im Umgang mit Professor*innen je nach Genderperformance. Zu Zeiten, in denen Bee sich kaum schminkt, sich weniger bunt kleidet und mehr masc presenting, sich also auf eine Weise kleidet und präsentiert, die in der Gesellschaft als eher maskulin eingeordnet wird, werde Bee ernster genommen. Wenn Bee sich so zeigt wie heute beim Interview mit pinkem Lidschatten, Ohrringen auf denen cunt steht und enger, bunter Kleidung, werde Bee direkt anders wahrgenommen und behandelt: „Eingestaubte Profs denken, nur weil ich cute aussehe, kann ich nicht denken“. Auch Kleidung mit politischem Aufdruck vermeide Bee. 

Eigentlich sollten alle Studierenden frei in der Kursauswahl sein, doch diese Freiheit ist oft eingeschränkt, wenn man nicht der gesellschaftlichen Studierenden-Norm entspricht. Bee als queere PoC erzählt von einem Kurs, in dem allen Studierenden zu Semesterbeginn dieselbe Frage gestellt wurde: Warum interessierst du dich für diesen Kurs? Nur Bee wurde zur Herkunft befragt. Der Professor interessiere sich ja so sehr für die Türkei und Gastarbeiter*innen. Während es bei der Kurswahl eigentlich nur um Interesse am Inhalt gehen sollte, müssen marginalisierte Studierende ein Gespür dafür entwickeln, wo sie sich wohlfühlen können, erklärt Bee. „Es gibt zwei Professorinnen, die ich sehr mag, und wenn ich in deren Kurse komme, habe ich direkt bessere Laune: Weil ich mich auf’s Lernen konzentrieren kann, ohne Angst vor übergriffigen Kommentaren zu haben.“ Auch das queerfeministische Referat kritisiert, dass hinsichtlich der Sensibilität von Lehrenden noch viel zu tun sei. Gerade in Seminaren herrsche ein Machtverhältnis, durch das ein Abhängigkeitsverhältnis der Studierenden von Dozierenden entstehe, das man nicht unterschätzen dürfe. Hätte Bee diesen Vorfall bei der*dem zuständigen Studiendekan*in melden wollen, so wäre dies anonym nicht möglich gewesen. Die Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung gibt auf ihrer Website bekannt, dass im Falle einer Meldung darauf geachtet werde, dass keine Nachteile für die Studierenden entstehen.

Auch wenn die Uni sich für queere Menschen und People of Color nicht wie ein Safe Space anfühlt, spüre man den Zusammenhalt untereinander als Studierende, sagt Bee. Mit Wärme in der Stimme erklärt Bee, dass man sich als Queers untereinander erkenne, anlächele und solidarisch zeige. In Kursen setze man sich zusammen, es entstehe so ein unausgesprochenes Verständnis für geteilte Erfahrungen. Trotzdem reiche das nicht. Queerfeindlichkeit und Rassismus müssten sichtbar gemacht werden, damit Menschen sich nicht mehr unsichtbar machen müssen. Bee wünscht sich, dass „Diskriminierungserfahrungen nicht so klein geredet werden und größere Konsequenzen haben, auch wenn es um einen bekannten Professor geht.“

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