Ich konsumiere, also bin ich.

Diskutieren wir über Verbote und Verzicht, fliegen in Deutschland die Fetzen. Es drohten Sozialismus, Diktatur und der Verlust des Menschen selbst, könnten wir nicht ungestört konsumieren. Philipp Lepenies verfolgt im Interview mit Leonard Wunderlich unsere Konsumfixierung zurück zu ihren Wurzeln.

Philipp Lepenies ist Professor für Politik mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit am Otto-Suhr-Institut der FU. 2022 erschien sein jüngstes Buch „Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geiste des Unterlassens” bei Suhrkamp. Foto: Leonard Wunderlich.

FURIOS: Politische Vorstöße, die das Kauf- und Konsumverhalten der Menschen verändern – Fleischkonsum, Heizungsgesetz, Inlandsflüge, Verbrennermotoren – stießen zuletzt stets auf harsche Ablehnung. Warum ist das so?

Philipp Lepenies: Da fallen zwei Dinge zusammen. Mit dem Mauerfall endete der Systemkonflikt zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Im Sozialismus ist der Mensch seinem Selbstverständnis nach vor allem Teil der Produktion. Im Kapitalismus ist der Mensch hingegen vornehmlich Konsument. Wir definieren uns über Konsum, und uns wurde lang genug eingetrichtert, dass es wünschenswert ist, möglichst viel und immer mehr zu konsumieren. Konsum und Wohlstand waren ja lange deckungsgleich, und viele Menschen glauben das weiterhin. Viele Politiker auch. 

Verstärkend kommt der Neoliberalismus hinzu, der nicht nur davon ausgeht, dass der Konsument der eigentliche Souverän der Wirtschaft und der Gesellschaft ist, sondern auch postuliert, dass in die freie Konsumentscheidung des Einzelnen auf keinen Fall eingegriffen werden darf. Konsumentscheidungen dürfen auch nicht moralisch bewertet werden. Wenn aber gerade das passiert, bringt das viele automatisch auf die Palme.

In der öffentlichen Debatte wird die Ablehnung von Verzichtsforderungen der Politik stets durch Verweis auf die individuelle Freiheit begründet. Inwiefern hängen also individuelle Freiheit und unbeschränkte Konsumentscheidungen zusammen?

Zentral ist, sich klarzumachen, wie stark unser Freiheitsbegriff auf die individuelle Freiheit zu konsumieren reduziert ist. Dabei erscheint uns der Konsum als die vornehmliche Möglichkeit, uns auszuleben, auszudrücken und zu verwirklichen. Wer demnach also unseren Konsum einschränkt, der beraubt uns unserer fundamentalsten Freiheit. Aber auf diese Freiheit kann man sich eigentlich nur berufen, wenn das eigene, individuelle Konsumverhaltens nicht zum Klimawandel oder zur wachsenden Ungleichheit auf der Welt beiträgt.

Dennoch wird dem Staat das Recht abgesprochen, das Konsumverhalten seiner Bürger*innen zu regulieren.

Im neoliberalen Denken ist der Staat der Gegner. Diese Einstellung geht auf die Erfahrungen der neoliberalen Urväter Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek zurück. Beide haben in der damals neu geschaffenen Republik Österreich kurz nach dem ersten Weltkrieg eine für sie sehr unangenehme Erfahrung gemacht: Plötzlich hatten alle volljährigen Bürger ein Wahlrecht. In Wien machte sich eine sozialistische Stadtregierung bemerkbar. Adlige und Privilegierte erlitten einen Positionsverlust. Sie idealisierten also lieber den Markt, auf dem der Einzelne mit seinem Geld alleiniger Entscheider ist. Dort konnte man seinen Präferenzen nachgehen und musst sich nicht einer Mehrheitsmeinung anpassen wie im politischen Leben. Man glaubte, am Markt eine Freiheit ausleben zu können, die einem die Demokratie und damit auch alles Öffentliche und Staatliche verwehrte. Schon starker Tobak.

Werden staatlicherseits dann doch Verbotsforderungen stark gemacht, sind von politischen Akteur*innen sowie Teilen der Öffentlichkeit Begriffe wie ›Ökodiktatur‹ oder ›Sozialismus‹ zu hören. Martin Huber, Generalsekretär der CSU, warnte vor einem »übergriffigen Heizsozialismus« in Reaktion auf das sogenannte Heizungsgesetz. Wie ordnen Sie das ein?

Derartige Äußerungen führen dazu, dass man gar keine Sachdebatten mehr führt. Man hat sich in Deutschland im politischen Diskurs in den letzten Jahrzehnten angewöhnt, jene rhetorischen Keulen bei jeder Gelegenheit zu schwingen. Aber genau so wird eine notwendige Transformationspolitik schon im Keim erstickt. Im Kontext der Klimakrise müsste doch eigentlich allen Menschen klar sein, dass wir etwas verändern müssen und dass wir das ohne einen Staat, der das Verhalten der Menschen reguliert, nicht hinkriegen. Das Problem ist, dass es eben leichter ist, Wählerinnen und Wählern vorzugaukeln, dass alles gut ist, wie es ist. Und alle, die etwas verändern wollen, schlimme Menschen sind. 

Autor*in

Leonard Wunderlich

Hat den leisen Verdacht, dass Hochschulpolitik doch irgendwo nicht völlig unwichtig ist.

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