Freiheitsgeschütze

Die Freiheit leuchtete stets am Zielpunkt emanzipatorischer Bewegungen. Jüngst ist sie zur Waffe, zum Tischgebet und Freibrief der Reaktionär*innen geworden. Als Diskurskeule fliegt der Freiheitsbegriff uns allen um die Ohren. Eine Glosse von Leonard Wunderlich.

Wer hat sich nicht schon alles unter dem Banner der Freiheit versammelt? Der Kampf der feministischen Bewegungen gegen das Patriarchat, der Arbeiter*innen gegen die Bourgeoisie, der Schwarzen Bürger*innenrechtsbewegung gegen Rassismus und Apartheid, der Klimaschützer*innen gegen die Agent*innen der Fossilindustrie… – Über die gesamte Moderne hinweg trugen emanzipatorische Bewegungen stets einen Leitbegriff ihren Protesten voran: die Freiheit. Jüngst hat sich etwas verändert. Nichts scheint derzeit stärkeres Symbol der Freiheit zu sein als ein dickgeschnittener Schinken, als das vorzugsweise hochgradig fettmarmorierte Rindersteak, als der Sport(carbon)(flugzeugtragflächenbreiteheckspoiler)(chipgetunte)(aufquasilichtgeschwindigkeitbeschleunigende)wagen, als der Flug von Hamburg nach Berlin (Flugzeit von acht Stunden über London Heathrow), als die Gasheizung… ­– Über die gesamte Moderne hinweg ist der Freiheitsbegriff niemals derart verkommen: zum Abwehrgeschütz der Reaktionär*innen.

Niedergang des Befreiungsideals

Große Teile der Politik schlummern friedlich. Illustration: Anna Raffelt.

Der Begriff der Freiheit scheint heute im öffentlichen politischen Diskurs jede emanzipative Kraft eingebüßt zu haben. Seine ehemalige Funktion hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Er wird heute vornehmlich von Konservativen aufgerufen und gegen progressive Politikvorhaben in Stellung gebracht. Er soll das Bestehende festigen und das Aufkommende fesseln. Der Status quo der Ewiggestrigen erstickt die Befreiung der Heutigen und Morgigen. Der Begriff der Freiheit ist gegenwärtig Werkzeug und Waffe der Reaktion.

Idealtypisch ist das hierzulande in der Debatte um Klimapolitik zu beobachten, wenn der Staat verbindliche Vorgaben erwägt. Dann stellt sich Verwirrung ein – Darf der das? –, die kurz darauf in einen blinden Abwehrkampf kippt. Endlose Tiraden über Verbotspolitik nehmen die politische Öffentlichkeit in Geiselhaft. Wer weiß, was sonst noch alles verboten wird? Parteien von links bis rechts rufen die Figur des kleinen Mannes auf, samt seiner bedauerlich prekären Lage und seinen letzten kleinen Freuden, die ihm von den durchurbanisierten Polit-Eliten nun weggenommen werden sollen. Nicht einmal das wohlverdiente Feierabendschnitzel nach stundenlanger Plackerei im schwerindustriellen Betrieb gönnen ihm die überakademisierten Goldlöffelmünder aus Berlin Mitte!

Andernorts bangt man um das Fortbestehen der »Volksidentität«. Ein besorgter Landesvater mit beelzebubem Haaransatz präsentiert auf Instagram eine Fotografiensammlung: Der Staatsmann und das Fleisch. Er sieht nach Diskussionen über Fleischkonsum und dessen Klimafolgen die »Bandbreite der Ernährung« in Gefahr, wie er zur besten Sendezeit erklärt. Die »Umerziehungswünsche« der grünen Ideologen stellten, einmal frei paraphrasiert, die Errungenschaften der Moderne beinah als Ganzes aufs Spiel. Deutschlands Freiheit wird neuerdings zur Brotzeit verteidigt. 

Im Moment der Katastrophe in den Ruhestand

Bleiben wir einen Moment in der Küche und betreiben Psychologie, während wir die Schlachteplatte kuratieren: Unser hyperindividualistisches Freiheitsverständnis erweist sich vor der Erfahrung der Klimakrise als überholt. Dessen absolut gesetzte Konsumfreiheit bricht an den Erfahrungen von Dürren, Fluten und Stürmen. Auf einen Verlust stellt sich immer zunächst Trotz ein, der sich bisweilen in rasende Wut und schließlich Leugnung steigert. Wir wollen uns nicht verändern, unabhängig von unseren Umständen! Wir wollen nichts aufgeben, was uns als angenehm und modern, als Ausdruck unserer Freiheit erscheint! Technologie wird es schon richten! Wir wollen uns nicht einschränken! Was wir nicht wollen, das kann auch nicht sein! Wir wollen einfach nicht! Einfach nein! *schnief*.

Diese Haltung ist nachvollziehbar für Bevölkerungsgruppen, deren Wohl und Chancen auch bisher unter die Räder des gesellschaftlichen »Fortschritts« geraten sind. Für verantwortliche Politiker*innen ist sie das nicht. Die Aufgabe von Politik besteht darin, im Sinne des Allgemeinwohls verbindliche Entscheidungen (!) zu treffen. Das Wegschieben von Entscheidungen, etwa im Geiste einer vorgeblichen »Technologieoffenheit« oder in der Ansicht, dass Politik nichts entscheiden dürfe, was in die individuelle Freiheit der Bürger*innen eingreift, ist schlicht: Arbeitsverweigerung!

In solchem Denken hat unser Finanzminister sich zur Ruhe gesetzt und die restliche Regierung gleich mit zwangsverrentet. Beschwipst von Vorstellungen individueller Freiheit und Verantwortlichkeit hat er das politische Handeln an die Bürger*innen delegiert. Entsprechend erkennt er nicht mehr das Verkehrsministerium als schuldig für das Verfehlen der Klimaziele im Verkehr, sondern »es sind die Bürgerinnen und Bürger, die die Klimaziele nicht erreichen«. Okay, warum? »Na, weil die Menschen eben mobil sein wollen.« Achso, natürlich.

Diskurs(klima)krise

Das unermessliche leid der unüberhörbar Verstummten. Illustration: Anna Raffelt

Aber die grünen (linksversifften) Ideologen nehmen einem nicht nur die Freiheit am Esstisch, im Verkehr und in der gesamten Lebensgestaltung, sie erteilen auch Denk- und Redeverbote und nehmen einem die Freiheit zu sagen, was es zu sagen gilt. So ist es etwa Richard David Precht, philosophischer Performer und Wortproduzent, ergangen, der trotz Podcast, Talkshow und zahlloser Druckerzeugnisse mit jeweiligem Millionenpublikum kaum mehr die Möglichkeit hat zu sagen, was ihm in den Kopf kommt. Stets muss er mit dem Widerspruch guerillaartig organisierter und agierender Internet-Stimmen rechnen. Ebenso ergeht es Thomas Gottschalk, jahrzehntelang Moderator hunderter Ausgaben der erfolgreichsten Fernsehformate zur besten Sendezeit. Auch er wirft jetzt sein Mikro vor den Gegnern der Freiheit und verlässt lässigen Schrittes die Bildfläche. Denn inzwischen rede er »zu Hause anders als im Fernsehen«. Die Dramatik: Diese Liste unüberhörbar Verstummter endet nie.
Wir nähern uns dem Punkt, an dem der öffentliche politische Diskurs uns endgültig entgleitet. Bald kann man dem kleinen Mann seine Freude nicht mehr nehmen, nach Feierabend im Maserati über die A3 zu donnern. Die Kuh steht im idyllischen Asphaltpanorama neben der Schnellstraße im Gras und reichert die Abgase mit eigenen Darmwinden für besseres Wetter an. In dieser Welt kann der weiße wohlhabende Mann so frei sprechen, dass ihm die Worte fehlen. Und Söder und Lindner drehen sich gemeinsam nochmal um. Überhaupt ist es im Bett heute Morgen so gemütlich. Na dann, gute Nacht. Nach uns die Sintflut!

Autor*in

Leonard Wunderlich

Hat den leisen Verdacht, dass Hochschulpolitik doch irgendwo nicht völlig unwichtig ist.

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